Konzertbericht
Kaizers Orchestra, The Datsuns, Korn, H-Blockx, Machine Head, Red Hot Chili Peppers, Starsailor, Sportfreunde Stiller, 3 Doors Down
Rock am Ring 2004
Nürburgring
04.06.2004
Rock am Ring ist, was es ist: Kommerziell, komisch, kräftezehrend. Vorweg ein Outing: Ja, ich mag es. Natürlich gibt es gerade bei Rock am Ring Leute, die garantiert nicht wegen der Bands da sind, sondern einfach nur mal wieder die Chance nutzen, das traute Heim zu verlassen um sich dann ins Koma zu saufen. Andererseits gehört es auch dazu, dieses Zeltlagergefühl. Punkt. Auch wenn das Line-Up dieses Jahr nicht ganz überzeugend war... Aber beginnen wir mal am Anfang, es geht ja schließlich um die Musik!
Nach den ersten Entspannungsbierchen am Mittag setzten wir uns freitags dann doch mal Richtung CenterStage in Bewegung. Dort zu sehen bekamen wir dann die H-Blockx, die wohl aufgrund einiger Absagen vom Talentforum (Anfang des Jahres) zur größeren Bühne aufrücken dürften. Netter Partyrock, nicht mehr – und nicht weniger. Auf die Ohren gab es Lieder wie die neue Single "Leave me alone", Little Girl" und "Move" (wobei ein kollektives "Bäääh" durch die Reihen ging, als sich Sänger Henning bemüßigt fühlte, sein T-Shirt zu lupfen). Ein Best-Of-Querschnitt der Bandgeschichte. Das sollte man auf diesem Festival noch öfter serviert bekommen... Weiter ging es dann mit den Trash-Metal-Corelern (oder so) Machine Head. Die fegten erstmal alles weg, was nicht fest auf dem Boden verankert war. Den bekannten Mix aus Hammer-Grooves und Stromgitarren gab die unglaublich tiefe Stimme von Robert Flynn dann noch mal den Rest, und fertig war der erste große Mosh-Pit vor der CenterStage. Rob bedankte sich dann auch immer wieder artig bei den Fans. Blöd war nur, dass denjenigen, die das Live-Album "Hellalive" besitzen, die Songauswahl sowie die Ansagen zwischen den Liedern deutlich bekannt sein dürfte. "Supercharger" ("I can fuckin´hear ya!" – diese Ansage kannten wir ja schon), "Ten Ton Hammer" – alles da. Hardcore-Fans aus den Urzeiten wurden genauso bedient ("The Blood, The Sweat, The Tears") wie Neulinge ("Descend The Shades Of The Night"). Der Aufforderung nach einem Pit ("Wisst Ihr, wie ein richtiger Pit aussieht? Ich möchte Euch alle sehen!") kamen die Fans dann auch gerne nach. Und auf einmal war Schluss. Ende. Aus. Viel zu schnell ging das Ganze, und viel zu kurz wars auch. Unbestätigten Gerüchten zufolge dürfen nur die (Co-)Headliner Zugaben spielen, dieser Regelung fielen dementsprechend viele Bands zum Opfer, bei denen das Publikum vergeblich nach einer Zugabe rief. Sehr geehrter Herr Lieberberg: die Umbauphasen sind doch sowieso recht lang, und wir alle kommen doch sowieso in den Genuß unzähliger Werbespots – was macht es da, wenn jede Band zumindest nochmal die Chance bekommt aus einem sehr gutem Konzert mit einer Zugabe einen Hammer-Auftritt zu machen? Soweit an dieser Stelle. Weiter ging es dann, nach dem mich Lemmys (Motörhead) Warzen, die durch die Leinwand einen geschätzten Durchmesser von einem Quadratmeter erhielten, ziemlich abgeschreckt hatten (darauf erstmal ein Bier!) mit den Headlinern Korn, die mit dem umgedrehten "R" meine ich natürlich. Bemerkenswert war das Publikum: neben den üblichen Verdächtigen (mit Issues-T-Shirt geschmückte 15-jährige, die sich bei Korn ihren Weltschmerz aus dem Leibe prügeln konnten) gab es erstaunlich viele Über-Vierzig-Jährige zu bewundern, die Lieder wie "Falling Away From Me", "Here To Stay" und "Got The Life" herzhaft mitgrölten. Erstens: welcher Techniker auch immer dafür verantwortlich war, der Sound war die erste halbe Stunde fürn Arsch. Die Gitarren im wahrsten Sinne der Wörter sang- und klanglos, aber immer noch besser als Jonathan Davies Stimme, die irgendwo im Niemandsland verschwand. Super, lustiges Liederraten also. Aber, zweitens, was noch viel schlimmer war: man konnte deutlich erkennen, dass da fünf Musiker auf der Bühne standen – aber keine Band. Fünf Menschen, die ihre Instrumente beherrschen, aber keine Spur von Interaktion, geschweige denn so etwas wie Freundschaft. In einer Band zu spielen ist ja wohl was anderes, als jeden Tag einen Nine-To-Five-Job abzureißen, bei dem man auch nicht alle Kollegen mag, oder? Immerhin kamen sie nach einer ellenlangen Pause ("Der Fettsack muss wohl erstmal sein akklimatisiertes Sandwich zu sich nehmen...") nochmal wieder, und intonierten "Freak On A Leash". Trotzdem: ein kleiner Schuß Freude hätte der Sympathieskala ganz gut getan. Ganz oben rangieren dort "The Datsuns". Als nicht ganz taufrischer Rockhype irgendwo zwischen den "Hives" und den "Libertines" waren sie für die Zuschauer vor der Talentstage kurz vor Mitternacht weit mehr als ein Geheimtipp. "Get Up (Don´t Fight It)" – so das Motto des schweißtreibenden Vierzig-Minuten-Auftritts. Allein der ziemliche Gleichklang der Lieder gab Anlass zum Meckern. Aber hey, gute, ehrliche Rockmusik, bei der man nichts anderes vernimmt als geile Gitarrenläufe und das Gefühl hat, ständig durch die Gegend springen zu müssen: Was will man eigentlich mehr? Vielleicht noch die Prise Coolness, die Danko Jones danach verbreiteten. Genau die richtige Mischung aus Arschwackel-Rhytmen, Melodien, die so oder ähnlich schon mal da waren (Macht aber nix!) und genügend Rock`N`Roll, um in die Massen zu springen. Einfach nur gut, und Party machen können die auch, die Kanadier. Nach einer Gedenkrunde für die großen des – ähem - Rockkosmos ("Ein Yeah für Barry White, Ein Yeah für Joe Strummer" usw. ) gab es den Reißer "Forget my name" der vor Testesteron nahezu übersprang. Angenehm zurückgenommene Bühnenshow, große Gruppendynamik und viel Spaß – so hätte der Abend enden können. Zuvor stand aber noch ein Abstecher auf die Alterna-Stage auf dem Programm. Dahin also, wo sich Kaizers Orchestra mit ihrem Folk-Rock-Mix bereits prächtig vergnügten. Instrumente wie die Kastanetten, ein paar Buschtrommeln und die obligatorischen Ölfässer machten daraus genauso ein Erlebnis wie der Pianist, dessen Gasmaske das Gefühl vermittelte, einer der Slipknot-Chaoten ging hier seinem Nebenjob nach. Die Lieder sind weder zum Mitsingen (alle auf norwegisch) noch zum Pogen gedacht, und trotzdem wird der Sänger von Kaizers Orchestra sicher recht behalten: "Wir haben ein Jahr darauf gewartet, hier zu spielen, jetzt müsst ihr noch mal ein Jahr drauf warten, uns hier wieder zu sehen."
Der Samstag fing entspannt mit "3DoorsDown" an, die wahrscheinlich eher ans Ende der gesamten Veranstaltung gepasst hätten. Das Programm war doch sehr balladenlastig: "Away From The Sun", "Here Without You", "Be Like That", alles da, im Schunkelsektor. Zum Ende wurde es dann doch noch angenehm-rockig: die beiden Minhits "Kryptonite" und "Loser" durften nicht fehlen, und zeigten, was für ein großes Organ da bei 3Doors Down am Mikro steht. Danach standen alle Zeichen auf Sturm, schließlich wartete Muse auf die Fans – oder umgekehrt. Zuvor mussten aber noch Nickelback ertragen werden. Der Auftritt ist bis auf ein kurzes Metallica-Cover von "Sad But True" nicht weiter erwähnenswert. Aber abends war es dann soweit: die Red Hot Chili Peppers, live, laut, in Farbe und das Ganze Open Air. Muss dazu noch was gesagt werden? Vielleicht, dass sie neben einem der besten Frontmänner der Welt (bei dem nicht nur die Stimme, die wieder angenehm kantig und unangepasst wirkte, sondern auch die Performance – Springen bis zum Anschlag) denn coolsten (ja, coolsten!) Bassisten der Welt haben. Die Bassläufe hörten sich live noch mal um einige Grade ausgefeilter an als auf CD. Respekt! Vielleicht sollte auch noch erwähnt werden, dass es mehr als eine Best-Of-Ansammlung war: obwohl sie von "By The Way" bis "Scar Tissue" alles spielten, hatte man das Gefühl dass die Chilis das Ganze mit Spaß und mit Seele machten. Sieben Monate ohne Publikum ist für so eine Band wohl recht lang, so dass sie satte eineinhalb Stunden rockten, funkten und – Vorsicht, Klischee – begeisterten. Und ganz sicher sollte man erwähnen, dass das alles trotz immenser Tonprobleme (vor allem am Anfang) passierte. Als Zugabe gab es dann traditionell "Under The Bridge" (ich hab sogar Männerherzen und -augen funkeln gesehen, ganz ehrlich) und den Überhit "Give It Away". Ganz großes Kino, ganz viel Gefühl, ganz viel "wow".
Eine Band, die am Abend noch mal 1000 Prozent mehr gewirkt hatte (aber solche Details scheinen dem lieben Herr Lieberberg nicht aufgefallen zu sein, bei den Positionierungen dieses Jahr wie Muse mitten am Tag), war Starsailor, die am letzten Tag noch mal alles zeigten, was kurz vor der Schmerzkitschgrenze ist. "Alcoholic" rührte fast zu Tränen, während Sänger James Welsh bei "Four To The Floor" zum Tanz bat – und nicht wenige dieser Aufforderung nachkamen. Sehr schüchtern und irgendwie fehl am Platze wirkte er da vorne, und schien sich wirklich über die volle Alternastage zu freuen. Neben den Singles spielten sie fast das komplette zweite Album "Silence Is Easy", wirkten aber nie unmotiviert oder gelangweilt. Die Vier scheinen sich bestens zu verstehen, und man selber war – verzaubert. Hin und weg. Sprachlos. Drei Freunde konnte man danach sehen: die Sportfreunde Stiller bedankten sich bei den Zuschauern, die freiwillig Linkin Park verpassten – mit einer Spur Ironie in der Stimme. Gewohnt rotzig und betont unprofessionell gab es dann "Erste Wahl", "Ich Roque" und "Ein Kompliment" zu bestaunen – und hören. Nett, prima. Aber nichts, was die eigene Welt aus den Angeln hebt. Auch wenn die drei bekennenden Bayern-Buddies bühnentechnisch immer mehr den Ärzten nacheifern – die Sprüche untereinander und mit dem Publikum kamen an. Irgendwie.
Ein Jahr voller kleiner Bands mit großen Auftritten (immer wieder: Starsailor! Starsailor!...) ging zu Ende. Mal schauen, ob es im nächsten Jahr die angekündigten R.E.M, gibt... Bei Lieberberg sollte man ja auf alles gefasst sein.
Michaela Tietz, 14.06.2004
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