Cd-Besprechung
Leserwertung: 7.4 Punkte
Stimmenzahl: 11
Grundkurs Physik: Aktion -> Re-Aktion. Transfer auf Kultur: Reaktion -> Gegenreaktion. Gewalt erzeugt Gegengewalt. Ohne Rechte keine Linke. Und ohne Vergangenheit keine Gegenwart. Genau das geht vielen Menschen in Deutschland gegen den Strich. Man müsse doch wieder stolz auf sein Land sein können, was im populär-kulturellen Rahmen so fragwürdige Aktionen wie die Einführung der vieldiskutierten deutschen Radioquote und „Neues deutsches Liedgut“ - Samplern nach sich zieht, in der Politik Aufbruchsstimmungen – „ein endlich nötiges nach vorne schauen, die Ärmel hochkrempeln“ - auslösen will, gar müsse.
Dieser Ansatz ist der falsche, meinen wiederum andere. Die haben sich mit solchen aktuellen Bewegungen deutscher Populärkultur, vornehmlich Musik, auseinandergesetzt und ein Buch mit dem Titel „I Can’t Relax In Deutschland“ zusammengeschrieben. Hier werden kritisch und in Aufsatz-Form Fragen wie die diskutiert, warum Stolz gegenüber seinem Vaterland falsch am Platz sei und warum der Ansatz von Bands wie Mia zwar populäre Grundgedanken aufwiese, die Herangehensweise aber die komplett falsche sei. Basierend auf Größen wie Adorno oder Freud beleuchten u.a. Pop-Wissenschaftler Martin Büsser oder Roger Behrens neben dem Begriff der Kultur den einer Nation, der in einer Diskussion über Deutschlands Selbstbild 60 Jahre nach Auschwitz zentrales Element sein müsse. Auf sehr gewagtes Terrain begeben sie sich dann, wenn Deutschlands moderne Staatlichkeit als Wirtschafts- und Industrienation in eine kulturell beinahe neofaschistische Ecke argumentiert wird. Mitunter kein leichter Stoff also, aber immer lesenswert und neue Denkanstöße gebend.
Genauso schön wie fraglich kann es sein, diesem kleinen Büchlein als Teil von Populär-Literatur eine Compilation beizulegen, die zwar die Erwähnung des Ganzen hier erst vollends legitimiert und von ähnlich ausgerichteten Bands zusammengetragen wurde, dennoch eben in letzter Instanz genau das ist, was es kritisiert: Ein Sampler mit ausschließlich deutschen Bands (obgleich auch nicht nur in der Muttersprache textend), die somit Deutschlands Fremd-, vor allem aber Selbstbild, hinterfragen. Aber Vorwürfen wie diesen ist man auf der wirklich informativen Homepage längst den Wind aus den Segeln nehmend zuvorgekommen (siehe „FAQs“). Mehr als nur nett anzuhören ist das Ganze natürlich allemal: Neben schon beinahe üblichen Verdächtigen wie Kettcar, Muff Potter (mit neuem Song), Tocotronic oder Die Sterne stehen in internationalerem Format Mitinitiatoren The Robocop Kraus, das halbe L’Age D’Or – Aufgebot und elektronisches von Mouse On Mars, T.Raumschmiere oder Räuberhöhle. Und Monochrome eröffnen mit einem guten möglichen Untertitel für das gesamte Projekt: „Gegenstück“. Durch dieses Facettenreichtum spricht’s, das Projekt, dann letzten Endes genau die an, an die es gehen soll: die (relativ) breite Masse.
Viele werden bei manchen Standpunkten beinahe geneigt sein, den Herausgebern doch bitte ein leises „entspannt Euch doch mal ein kleines bisschen“ zu empfehlen. Aber – ein Blick auf den Titel und eine Auseinandersetzung mit den Inhalten – man lässt es. Und so ist’s eigentlich egal, wie man all dem gegenüber steht: „I Can’t Relax In Deutschland“ fördert in seiner hoch idealistischen Vorstellung die Synapsen, schärft das soziale und gesellschaftliche Bewusstsein, entstand aus überzeugten Stücken – und präsentiert gute Musik.
11 Punkte (von max. 15)
Fabian Soethof, 29.09.2005
TRACKLIST
01. Monochrome - Gegenstück
02. Kettcar - Einer
03. Tocotronic - Aber hier leben, nein danke
04. Räuberhöhle feat. Saalschutz - Achtung!***
05. Die Goldenen Zitronen - Fin de Millinaire***
06. Rhythm King And Her Friends - I'm Disco (Discontent Mix)
07. Mouse On Mars - Wipe That Sound
08. Lali Puna - The Daily Match
09. Muff Potter - Punkt9***
10. Peters feat. Egotronic - Diskretion Deluxe
11. The Robocop Kraus - Concerned Your Secular Friends
12. Kante - My Love Is Still Untold
13. Bernadette La Hengst - Warum nicht 2
14. Die Sterne - Sorglos (Studioversion)
15. Von Spar - Slow Down For A Fast Trip (2005)***
16. Stella - Business Of Strangers
17. Arme kleine Deutsche
18. T.Raumschmiere - Noch nie/nicht mehr
19. Superpunk - Matula (live)
20. Lawrence - Things
[ *** Anspieltipps ]
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