Special
Wacken Open Air
Die Menschen hinter dem Wacken Open Air - Teil 2
2019 jährt sich das legendäre Wacken Open Air nun zum 30. Mal. Wenn das nicht mal Grund genug ist einen Blick hinter die Kulissen von Deutschlands größtem Metalfestival zu werfen und damit auch einmal die Menschen zu beleuchten, ohne die das Festival niemals stattfinden könnte. In fast 30 Jahren sind somit einige Geschichten zusammengekommen, manche etwas abgefahren, andere herzerwärmend, wieder andere hintergründig oder einfach nur lustig. Im zweiten Teil unseres Specials werfen wir dieses Mal ein Auge auf die Personen, ohne die das Wacken Open Air vermutlich weniger legendär wäre, als es ist: die Musiker, die Jahr für Jahr die Bühnen rocken und das Publikum begeistern und deren fleißigen Helfer.
Ohne diese Frau geht auf dem Wacken Open Air bzgl. Des Künstlerbereichs fast gar nix. Sonja Lattwesen gehört zur Artist Production, der Schaltstelle für alles, was mit den Bands und ihren Auftritten zu tun hat.: „Bei meinem ersten W:O:A 1998 habe ich noch als Reporter vom Campingplatz berichtet. Wacken ist sehr speziell. Wie quasi aus dem Nichts für ein paar Tage eine Kleinstadt entsteht oder wie die Leute gegenseitig auf sich aufpassen – das ist schon der Wahnsinn. Ich weiß von anderen Festivals, die immer wieder Probleme mit örtlichen Kirchenvertretern haben. Bei uns liegt der Schlüssel zur Kirche im Produktionsbüro, weil wir die für Konzerte nutzen dürfen. Gerne erinnere ich mich an den Auftritt von Arch Enemy 2006: So viel Adrenalin habe ich noch nie erlebt, das war der größte Energieerzeuger aller Zeiten. Die Band sollte eigentlich einen Tag vor ihrer Show anreisen, locker im Hotel ankommen und am nächsten Morgen ganz entspannt zum Festival rüberfahren. Leider haben genau zu dem Zeitpunkt etliche Fluglinien gestreikt. Band und Crew wurden dann für den nächsten Tag auf mehrere Flüge verteilt. Wir haben so viele Autos wie möglich organisiert, um die ganze Mannschaft nacheinander nach Wacken zu schaffen. Es wurde richtig eng, denn natürlich gab es Staus auf der Autobahn. Musiker und Techniker sahen von den Reisestrapazen deutlich mitgenommen aus, also haben wir alle mit angepackt. Auf einmal fiel jemandem auf, dass die Hälfte der Bandausrüstung in dem ganzen Flugchaos verloren gegangen ist. Ich bin daraufhin losgezogen, um bei unserer Backline-Crew und anderen Musikern die fehlenden Teile zu organisieren und zur Bühne zu schaffen. Da haben Michael Amott, Sharlee D’Angelo und die anderen schon ihr Zeug zusammengestöpselt. Ein paar Minuten vor der Show kommt dann endlich der Soundmann, schließt schnell die Effektgeräte aus seinem Gepäck an und rast im Schweinsgalopp durch das Infield zum Mischpult. Für einen Linecheck (kurzes Anspielen der Instrumente als reiner Funktionstest - Anm.d.A.) hatten wir keine Zeit mehr, die Band hat sich sogar auf der Bühne umgezogen. Allerdings fehlte noch Sängerin Angela Gossow! Die hatte vorher einen wichtigen Interviewtermin und sich danach hinter das Catering-Zelt verzogen, um sich in Ruhe warmsingen zu können. Aber ich habe sie dann auch noch gefunden. So konnte es mit nur fünf Minuten Verspätung losgehen. Ich weiß nicht, ob Arch Enemy während einer Show schon mal so viel Adrenalin in den Venen hatten, aber einen besseren Gig habe ich von ihnen noch nicht gesehen. Zehn Minuten nach dem Auftritt kam übrigens noch das letzte Crew-Mitglied an.“
Auch Hansi Kürsch, Sänger der Band Blind Guardian, ist seit Jahren nicht vom Wacken Open Air wegzudenken. „Man macht sich immer viel zu viele Gedanken über die falschen Dinge. Das gilt natürlich besonders für das Erscheinungsbild beim W:O:A. Sitzt die Frisur? Sehe ich cool genug aus? Oder bin ich vielleicht zu dick? Das ist gelebte Geschichte: 2010 durfte ich mit meinen Freunden von Grave Digger in Wacken auf die Bühne. Ich war natürlich Feuer und Flamme, doch der Geist ist willig, der Körper ist schwach. Deshalb kam ich standesgemäß für einen echten Rockstar viel zu spät im Backstage-Bereich an. Weil Grave Digger das gesamte ‚Tunes Of War‘-Album mit Gästen präsentieren wollten, erklärt mir Chris (Boltendahl, Sänger - Anm.d.A.), dass alle als Schotten verkleidet sein sollen. ‚Na klar!‘ antworte ich gedankenlos, kein Problem im Sommer. Chris trägt an dem Abend also einen Deluxe-Kilt, Doro ein schönes Kleid – und ich? Wie alle anderen einen Schottenrock. Außerdem heißt es, echte Schotten würden nur mit nacktem Oberkörper auftreten. "Egal, ich zieh das jetzt durch", denke ich mir. In meinem tiefsten Innern allerdings nagt eine penetrant zweifelnde Stimme an mir: ‚Vielleicht doch besser mit T-Shirt?‘ Ein Blick in den Garderobenspiegel klärt die Sache auf dem kurzen Dienstweg. Nicht nur das: Mir wird klar, dass ich mich bis zur kurz danach stattfindenden Blind Guardian-Tour auf Zwangsdiät setzen muss. Drecksspiegel! Warum ich den Schottenrock dann noch mal ausgezogen habe, weiß ich nicht mehr. Vielleicht, um eine Unterhose anzuziehen, auf die ich wie angeblich die ‚echten Schotten’ zuerst verzichten wollte? Fest steht, dass ich im Eifer des Gefechts – immerhin startet in ein paar Minuten eine Headliner-Show in Wacken – den Rock falsch herum wieder anziehe. Ich bin nun mal kein echter Schotte und hatte keine Ahnung, wo bei dem Teil vorne und hinten ist. Heute weiß ich es. Und schon stürme ich mit meinem Halbwissen über Schottland und Rebellion auf die Bühne und stelle in geiler Rockstar-Pose ein Bein auf die Monitorbox. Nun ist bei so einem Schottenrock die Rückseite offen – und bei mir eben jetzt vorne. Es passiert also, was passieren muss: Sofort kommt meine zum Glück erst am Morgen gewechselte Unterhose zum Vorschein, vor Tausenden von Leuten. Das ist natürlich ein gefundenes Fressen für die Fotografen. Von da an folgt mir der Kameramann auf ‚Tritt und Schritt‘ (im wahrsten Sinne des Wortes), wahrscheinlich befeuert von der Hoffnung, dass ich noch mehr von mir preisgebe. Bilder, die man nicht vergisst. Wer will da schon noch nackte Haut sehen? Manchmal ist weniger mehr. (Ok, den letzten Satz streichen wir, der kann missverstanden werden.) Das Publikum scheint jedoch bester Laune zu sein, und ich feiere mich innerlich für eine weitere gelungene Wacken-Show ab. Allerdings stelle man sich mal vor, ich wäre ohne Unterhose gegangen. Der Respekt und die Sympathie der weiblichen und wahrscheinlich auch der männlichen Besucher wäre mir auf alle Zeiten sicher gewesen. Aber auch so war der Abend eine recht erfolgreiche Angelegenheit. Man mag mich eben auch wegen meiner inneren Werte. Vier Sachen habe ich zudem gelernt: Erstens ich bin kein Schotte, zweitens werden Mode und Dresscodes überbewertet, drittens befindet sich die Öffnung eines Schottenrockes hinten, und viertens: Wacken bildet.“
Er gehört fast schon zum lebenden Inventar des W:O:A – Tom Angelripper oder Onkel Tom, seines Zeichens Frontmann der Band Sodom: „Für mich ist es immer eine große Ehre, nach Wacken eingeladen zu werden. Deswegen versuche ich meinen Auftritten, egal ob mit Sodom oder solo, ein besonderes Flair zu geben. Für die Sodom-Show 2001 hatten wir beispielsweise geplant, dass uns von einem Helikopter direkt auf die Bühne abseilen zu lassen. Das war alles in trockenen Tüchern, hat aber aus versicherungstechnischen Gründen leider nicht geklappt. 2007 haben wir im Rahmen der „Night To Remember“ das 25-jährige Bandjubiläum gefeiert und dazu alle jemals an Sodom beteiligten Musiker eingeladen. Holger und Thomas meinten, wir sollten doch einfach das komplette Wochenende bleiben. Also sind wir mit alle Mann zusammen im Nightliner da hoch gefahren. Das kam mir echt vor wie ein großer Familienausflug. Alleine die Hinfahrt war legendär, da haben wir drei Stangen Zigaretten weggeraucht. Das war krass. Andy Brings, selber Nichtraucher, meinte hinterher todernst, dass er nie wieder bei der ‚Rauchsportgruppe Sodom‘ im Bus mitfährt. Am Showtag hat unser Tourleiter mich gerade rechtzeitig wachbekommen. Mein Gott, was hatte ich einen Schädel! Letztendlich ist das Konzert aber echt geil gelaufen, auch wenn wir manche Sachen vorher nur einmal proben konnten. Nach all den Jahren mit diesen Menschen wieder auf der Bühne zu stehen, hat bei mir Gänsehaut verursacht. Das war ein sehr schöner Moment. Es gab selbstverständlich auch einen weniger netten Augenblick: Am nächsten Abend mussten wir den Notstand ausrufen, weil uns die Zigaretten ausgegangen sind. Uns blieb nichts anderes übrig, als einmal quer über das Gelände zu laufen, sonst gab es keine Chance auf Nachschub an Kippen. Irgendjemand hatte aber mitten auf dem Acker ein Loch gegraben und das mit Stroh abgedeckt. Und wer latscht da rein? Ich. Bis zu den Brustwarzen habe ich im stinkenden Schlamm festgesteckt! Die mussten mich mit ein paar Leuten da rausziehen. Das große Problem an der Sache: Ich hatte genau eine Lederhose dabei, und die hatte ich an. Im Endeffekt ein unvergesslich geiles Wochenende. Die Hose habe ich sogar noch, natürlich gereinigt.“
Das Musiker durchaus auch einmal skurrile Wünsche haben, davon kann Tätowiererin Liz Vegas nur ein Lied singen: „Ich tätowiere seit über elf Jahren, und seit sieben davon in Wacken. Dabei arbeite ich allerdings nicht für das Festival, sondern auf dem Festival. Das heißt, dass die Bands mich vor ihren Auftritten anrufen und bitten, zum W:O:A zu kommen. Über die Jahre konnte ich ziemlich viele Musiker auch aus England oder den USA als Kunden gewinnen. Weil ich in Hamburg wohne und arbeite, passt es für mich sehr gut, Termine auf dem Festival wahrzunehmen. Vor allem Steel Panther gehören schon seit Jahren zu meinen Stammkunden und rufen jedes Mal an, wenn sie in Wacken spielen. Dann heißt es: ‚Liz, bring deine mobile Ausrüstung mit!‘, und los geht’s. Weil wir uns schon so lange kennen, macht es mir natürlich jedes Mal große Freude, die Jungs wiederzusehen. Ich kann ihren Stil einschätzen und weiß, auf welche Motive sie stehen. Deshalb sagen sie mir vorher auch nur ungefähr, in welche Richtung es gehen soll, wir schicken wir noch ein paar Fotos hin und her, und wenn sie dann hier ankommen, können wir mit dem Tätowieren anfangen. Allerdings passiert es auch mal, dass Lexxi Foxx unangekündigt bei mir auftaucht und mich bittet, ihm noch schnell die Finger zu tätowieren. Spielkarten sollten es werden. Ein umgedrehtes Herz hatte er schon, jetzt wollte er noch Pik und Caro, allerdings kein Kreuz. Kreuz bei Spielkarten heißt im Englischen ja ‚Clubs‘, und Lexxi meinte: „We don’t do clubs!“ Damit war das klar! Die absurdeste Geschichte in Wacken ist mir aber mit Jason Christopher passiert, dem Bassisten von Prong. Wir hatten das Motiv, eine schwarze Rose auf seinem Kopf, mit viel Vorlauf geplant und uns im Artist Village in der Kabine der Band verabredet. Nach ihrem Auftritt lag alles für unsere Sitzung bereit, als plötzlich jemand vom Wacken-Team uns informierte, dass wir den Backstage-Bereich räumen müssen. Woran keiner von uns gedacht hatte: Die nächste Band wartete schon darauf, die Kabine zu beziehen. Prong mussten raus. Das war natürlich ziemlich ärgerlich und so blieb uns nur, uns an die Jägermeister-Bar zu setzten und den Frust runterzuschlucken. Den Termin haben wir aber auf der folgenden Tour nachgeholt. Grundsätzlich muss ich sagen, dass ich meine Arbeitsbedingungen in Wacken wirklich sehr gut finde. Das Artist Village ist hervorragend organisiert, man kann die Tür hinter sich zumachen, es ist sauber und kein bisschen schmuddelig. Eigentlich so wie zum Beispiel auf einer Tattoo-Messe. Allerdings bin ich privat natürlich auch schon komplett im Wacken-Schlamm abgesoffen. Denn wenn ich wegen eines Termins da bin, bleibe ich grundsätzlich noch ein paar Tage und gucke mir die Bands an. Klar, dass mir in den fiesen und nassen Jahren da auch schon der Matsch oben in die Stiefel gelaufen ist. Aber das gehört dazu und ist egal. Das W:O:A fühlt sich immer wie etwas Besonderes an. Trotz Tausender Menschen, die vor der Bühne stehen, kann es passieren, dass einem plötzlich ein alter Kumpel von hinten auf die Schulter tippt und sagt: ‚Wie geil, dass du auch hier bist!‘ In Wacken tummelt sich eben trotz der enormen Größe doch eine kleine, liebenswürdige und immer freundliche Metal-Familie.“
Tja, in 30 Jahren Wacken ist schon so einiges passiert. Manchmal war es etwas skurril, ein anderes Mal herzerwärmend. In Teil 3 unseres Specials widmen wir uns weiteren Menschen ohne die das Wacken Open Air nicht das wäre, was es nun mal ist: ein legendäres Event, das jedes Jahr abertausende Menschen in ein kleines norddeutsches Dörfchen ziehen, um zu Metalklängen gepflegt abfeiern zu können.
Kitty N., 01.06.2019
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