Special
Rock am Ring
Rock am Ring 2010: Sonne? Sonne!
Es schien so als ob sonderbare Dinge vor sich gehen sollten. Strahlender Sonnenschein und Temperaturen jenseits der 20 Grad Marke erfreuten die 85.000 Fans bei Deutschlands bekanntestem Rockfestival und es drohte sogar die örtliche Dreifaltigkeit - Rock, Ravioli, Regen - zu kippen. Manch einer fragte sie bei der grandiosen Wetterlage sogar, ob er nicht aus Versehen zum Southside gefahren war.
Spätestens bei der Eröffnung des Festivals - dieses Jahr einen Tag früher als sonst - dürften derlei Irritationen dann aber wieder vergessen gewesen sein, denn die Veranstalter zeigten zum 25. Geburtstag eine klasse Doku, die wohl keinen vor dem ein oder anderen Gänsehautmoment verschonte.
Den richtigen Teil des Festivals eröffneten dann die H-Blockx mit einer eher mittelmäßigen Einlage. Die Neunziger sind einfach vorbei - trotzdem die alten Fans hatten sichtlich Spaß.
Mehr Spaß hatte die breite Masse dann mit den Legenden von KISS. Man kann definitiv viel über die Altrocker lästern: mittelmäßige Musik, die Kostüme werden langsam eng, nur ein paar echte Hits. Überstrahlt wird das alles aber immer durch die bombastische Show. Alle paar Momente knallt es irgendwo auf der Bühne, die Lichtshow ist über jeden Zweifel erhaben, Gene Simmons fliegt über das halbe Publikum auf eine Extrabühne und am Ende fahren alle der Granden per Hebebühne in den Himmel. Wow!
Der zweite Tag stand ebenfalls ganz im Zeichen der Centerstage. Dass Airbourne etwas an der Gitarre können, wusste man ja schon länger. Dass sie aber auch so mühelos 35.000 Menschen vor der “Center” um den Finger wickeln war neu. Coole Sache am Rande: In bester Ringtradition erkletterte Sänger O’Keeffe die Center, um wild zu posen.
Showtechnisch konnte Slash, den Musikinteressierten unter uns bekannt von Guns N’ Roses und Velvet Revolver, da nicht ganz mithalten. Kein Problem allerdings, denn musikalisch spielte er einen der besten Gigs dieses Rings. Bitte mehr davon!
Danach einer der wohl meist diskutierten Acts dieser Auflage. Sollte einer wie Jay-Z auf einem dediziert Rocker ansprechenden Festival, ja dem Rockfestival, auftreten dürfen? Zugegebenermaßen kennt wohl jeder den einen oder anderen Song des Rappers - nicht zuletzt nach der Kollabo mit Linkin Park.
Wie auch ich waren die meisten Besucher sehr skeptisch, doch nach dem dritten oder vierten Lied wurde die Stimmung lockerer und zum Ende der Performance hin reckten sich 20.000 Hände in den Himmel und wippten dem Beat nach. Der Erfolg gibt den Veranstaltern recht…
Zu guter letzt an diesem Tag sollte dann noch die Lizenz zum totalen Ausrasten kommen. Kurz nach halb elf betraten Zack de la Rocha und Konsorten zu Sirenengeheul die Bühne und es hieß wieder einmal: “Good evening, we are Rage Against The Machine from Los Angeles, California.” Can you say moshit?!
Anderthalb Stunden Riff um Riff, Energie bis zum Umfallen und wildes Gehüpfe später, fragte man sich wo denn die Zeit geblieben ist. Eine ursprünglichere, wildere Erfahrung gibt einem wohl kein Auftritt einer anderen Band.
Selbstredend gab es auch diesmal keine neuen Songs, aber vielleicht ist das so besser, denn wer will sich das selbst geschaffene Monument schon kaputt machen? Moshpits bis in die letzte Reihe und ein ohrenbetäubendes Publikum bei Tracks wie “Bombtrack” und “Killing In The Name Of” sind mir dann lieber als Enttäuschung über einen neuen Track. Das Fazit des Auftrittes könnte deswegen auch sein: Gut wie immer und das Publikum ist die Hälfte der Show.
Wer danach noch nicht genug hatte, konnte noch den großartigen Hammerfall-Gig mitnehmen. Spätestens bei “Hearts On Fire” wurden auch die müdesten Rockerknochen noch einmal ordentlich durchgeschüttelt.
Es ist verdammt verlockend den Samstag unter dem Gesichtspunkt 30 Seconds To Mars vs. Muse zu betrachten. 30 Seconds To Mars sind nämlich in der Tat die große Überraschung dieses Rings. Solch eine Symbiose mit dem Publikum, solch eine Stimmung, solch eine fast familiäre Atmosphäre, hätte wohl niemand erwartet. Jared Letos Hang zur (Selbst-)Darstellung krönte sich beim letzten Song “Kings And Queens” damit drei dutzend Fans auf die Bühne zu holen und mit ihnen im Rücken zu performen. Spätestens als Gossip Frontfrau Beth Ditto die Bühne mit einem Besen erstürmte war jedem klar, dass dies ein ganz besonderer Moment in der Ring Geschichte sein dürfte. Das roch verdammt nach Headliner der nächsten Jahre…
Dem ganzen wollten die aktuellen Headliner Muse natürlich nicht nachstehen. Was da alles aufgefahren wurde, wird normalerweise nur bei Stadionauftritten in dieser Art und Weise gemacht. Eine krasse Lichtshow, eine brillante Performance und ein gigantisches Ufo über den Köpfen der Menschen als Krönung. O-Ton aus dem Publikum: “Muse rocken alles an die Wand, was nicht bei drei auf den Bäumen ist”. Lustiges Detail am Rande: Das Ufo war so groß, dass sogar die TV-Übertragung von Slayer gestört war. Vielleicht spielten sie gerade deswegen einen ihrer bösesten (und das ist gut bei Slayer) Gigs seit langem?
Was gab es sonst noch an diesem Samstag? Überraschungen (Projekt 54), erwartete Überraschungen (Gossip) und reihenweise gute Auftritte am Rande (You Me At Six, Zebrahead, Slayer, Motörhead mit Abstrichen). Einzig und allein unsere Redaktionslieblinge von Disco Ensemble legten einen Auftritt der eher bescheidenen Art hin. Dass mal das Keyboard ausfällt kann man verschmerzen, aber einen leblosen Promo-Gig für das neue Album hätte man von den sonst so explosiven Finnen nicht erwartet. Schade!
Auch der Sonntag weckte einen spätestens um zehn Uhr (!!!) mit brütenden Temperaturen im Zelt. Kein Problem, denn es gab ja genug Möglichkeiten sich die Müdigkeit aus den Knochen zu tanzen. Five Finger Death Punch zum Beispiel boten die perfekte Möglichkeit dafür und spätestens der kurze, aber dafür heftige Regenschauer (“Endlich, wir sind ja doch beim Ring”) weckte auch den letzten endgültig aus Orpheus Armen.
Erstes Highlight des Tages waren die Donots, die eine spaßige Show hinlegten und den Himmel über den Ring verdunkelten, als sie jeden dazu aufforderten etwas in die Luft zu werfen. Genialer Anblick von außen, heftiger Moshpit danach drinnen.
Die üblichen Verdächtigen überzeugten dann auch diesmal. Sowohl Bullet For My Valentine als auch Rise Against und The Hives begeisterten das Publikum. Große Gefühle auch bei Bad Religion. Es könnte sehr gut sein, dass man den “Punkrocksong” das letzte Mal am Ring gehört hat und die großen Punklegenden die Gitarre an den Nagel hängen.
Der einsetzende Dauerregen verlieh dann einem der groß angekündigten Acts des Festivals den gebührenden Rahmen. Rammstein gaben sich die Ehre und man konnte fast meinen das Ziel der harten Rocker sei es die Bühne abzufackeln. Mehr Pyro geht nicht!
Wie immer bei Rammstein gingen die Meinungen nach dem Auftritt auseinander. Die einen lieben sie, die anderen langweilen sich zu Tode. Manche Dinge ändern sich wohl nie (neben dem obligatorischen Regen am Ring).
Fazit: Tolle Stimmung vor Ort. Wenn der Veranstalter sagt, die Fans hätten das Festival zu dem Ihren gemacht, sind das nicht nur leere Phrasen. Dazu kommt: Musikalisch hat man sich etwas getraut und ist belohnt worden. Muse haben sich als Headliner bewährt, 30 Seconds To Mars haben sich sehr erfolgreich darum beworben und auch für das nächste Jahr darf man hoffen. Wer mag wohl die angekündigte “große, amerikanische Band, die noch nie am Ring gespielt hat” sein, die man holen will? Die Gerüchteküche kocht also schon 51 Wochen vor dem Ring wieder hoch…
Felix Saran, 11.06.2010
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