Interview
Rise Against
Die Faust aus der Tasche
Im Grunde haben es Rise Against aus Chicago ja verdammt einfach dieser Tage: Ein neuer alter Präsident wurde in Ihrer Heimat gewählt, den in Ihren Kreisen und somit wahrscheinlich auch in all denen, die jegliche Musik dieser Richtung hören, keiner unter irgendwelchen Umständen wieder haben wollte. Zusammen mit diversen Punkrock-Größen wie NOFX und Konsorten machten die Jungs sich dagegen stark, und da dann doch das worst case scenario eintrat, gibt’s doch umso mehr Groll, mit dem man die Kids weiter füttern könnte. Mehr als ein halbes Jahr ist das jetzt her. Dass Rise Against sich das aber bestimmt nicht so einfach machen, kann man sich eigentlich an weniger Fingern abzählen, als die Bloodhound Gang zum Bass spielen braucht. Auch wenn manch einem die Parolen doch zu plump erscheinen, hat man es hier doch mit einer thinking band zu tun, deren mittlerweile abgeschlossene Europa-Tour einem kleinen Siegeszug glich.
So sollte auch die heutige Show in der Essener Zeche Carl mit Red Lights Flash und den großartigen Jungspunden Alexisonfire zum Bersten gefüllt sein. Ein paar Stunden vorher, genauer gesagt kurz vorm Abendessen von Rise Against, dürften wir uns davon überzeugen, dass die wirklichen Sprachrohre solcher Bands meist wohl doch die Sänger und Songschreiber sind, andere Mitglieder aber trotz weniger Redefluss nicht minder freundlich sein müssen. Joe Principe, Bassist, plagt schon vorher der Hunger, Brandon Barnes, Drummer, grummelt wie ein müder Bär, und Alexisonfire spielen lärmend im Hintergrund Football, wovon man sich nur manchmal ablenken lässt.
BR: Vorab: Habt Ihr diese FAQ’s auf Eurer Homepage, weil ihr diese Sachen nie mehr gefragt werden wollt?
Joe: Och, naja schon, manche Leute fragen halt immer soviel und immer das gleiche, da haben wir die Antworten dazu einfach schon mal vorweg gegeben…
BR: Okay ich geb mir Mühe! Fangen wir mal ganz leicht an: Könnt Ihr in ein paar Worten erklären, was auf der einen Seite Musik, auf der anderen Politik für Euch bedeutet?
Brandon: Puuh! Politik für uns persönlich in den USA bedeutet vielleicht einfach soviel wie Freiheit – und wie unser Land den Rest der Welt behandelt, was wir halt nicht so toll finden! Das ist es im Grunde schon.
Joe: Und Musik ist einfach etwas, was uns fröhlich macht. Es ist zu einem sehr großen Teil unseres Lebens geworden, ohne sie würde ich mich lange nicht so gut fühlen.
Brandon: Ja, und z.B. bzgl. Politik ist sie halt ein ganz gutes Ventil Deiner Aggression.
BR: Glaubt Ihr, Politik und Musik sollten miteinander verknüpft sein?
Brandon: Das glaub ich nicht. In unserem Falle bedeutet uns einfach die Musik sehr viel, politisch hat natürlich jeder seine politischen Sichtweisen, die sich bei uns ganz gut vereinen, was aber nicht für den Zweck geschah, sondern ganz natürlich.
BR: Seht Ihr Euch selbst also in erster Linie als eine politische Band?
Joe: Ich verstehe uns eher als eine sozial-aufmerksame Band. Wir haben einige Songs über Politik, aber das ist längst nicht jeder. Tim schreibt aus einer sehr persönlichen Perspektive, also findest Du all das, was ihm so tagtäglich passiert, in unseren Lyrics wieder. Es ist aber kein Problem für uns, dass die Leute uns in erster Linie als politische Bands sehen.
BR: Wenn die Kids Eure Platten hören, was sollen sie Eurer Meinung nach daraus am ehesten mitnehmen?
Joe (überlegt): Positive Vibes … ja, so im Sinne von Hoffnung. Nicht alles muss immer negativ sein. Das ist zumindest das, was ich gerne hätte! In Tims Lyrics schwingt wirklich immer ein positiver Vibe mit. Was denkst Du, Brandon?
Brandon: I want the kids to get sweet jams, get weird! Wie Joe sagte, natürlich haben wir viel lauten Stoff, aber immer recht positiv ausgelegt.
BR: Demnach steckt in Euren Songs mehr Hoffnung als Wut?
Brandon: Yeah, auf jeden Fall.
Joe: Klar haben wir sehr wütende Songs wie z.B. „State Of The Union“, aber dieses Element ist eben nicht in all unseren Songs. Auf der anderen Seite haben wir ja Sachen wie „Swing Life Away“, was einfach sehr persönlich ist.
BR: Ist es eine Gratwanderung, einerseits den Leuten eine Message zu geben und einen, politisch wie persönlichen, Standort zu vertreten, und dabei andererseits nicht zu kitschig und pathetisch zu werden?
Joe: Wir haben nie irgendwas erzwungen. Wir wollten auch nie irgendwem eine Meinugn aufdrücken oder sagen, was er zu tun hat. Tim repräsentiert einfach unseren Standpunkt, und wenn Leute sich das anhören, gut finden und ähnliche Sichtweisen haben, ist das natürlich okay. Darüber hinaus lieben wir es aber einfach, aggressive und catchy music zu vermischen. Wir würden uns langweilen bei immer nur einem Style. Wir sind Fans von catchy punkrock music wie z.B. Bad Religion, aber eben auch von härteren Sachen wie Sick Of It All.
BR: Seid ihr also aus Freundschaft entstanden oder in erster Linie als eine Gruppe von Menschen mit ähnlichen Ansichten?
Joe: Sowohl als auch natürlich. Naja, diese Punkrock-„Szene“ ist ein sehr enges Netzwerk. Da kennt eh jeder jeden.
Brandon: Und Joe hatte meine Nummer von einem gemeinsamen Freund, so kam ich halt dazu. Er kannte auch Tim von alten Shows in Chicago. Ganz einfach.
BR: Und wenn nun jemand innerhalb er Band seine Ansichten komplett umwerfen würde, wäre das ein Grund sich davon zu trennen?
Joe: Kommt natürlich drauf an… wenn der jetzt plötzlich „White Power“ oder so was propagieren würde…! (lacht)
BR: Versteht ihr Bands, die sich und Ihre Person komplett von politischen Ansagen und Richtungen distanzieren und Musik und Politik strikt trennen wollen?
Brandon: Jeder kann tun und lassen was er will. Und falls jemand gerne über Politik reden möchte, gerne, falls nicht auch okay. Natürlich würde ich Bands bevorzugen, die ihre Position nutzen und etwas sagen und tun, aber wir urteilen deswegen über niemanden.
Joe: Natürlich wäre es super, wenn Künstler ihre Plattform für etwas, das einem guten Zweck dient, nutzen würden. Leute wie z.B. Alicia Silverstone, die die PETA unterstützt, finde ich super. Die gehen da raus und machen was. Sogar Dennis Rodman warb auf Postern für die PETA. Aber nicht jeder kann so was halt 100%ig machen, weil das eben nicht jeder so in sich hat. Viele machen halt einfach ihre eigenen Sachen, Du kannst niemanden zu so was zwingen. Egal was Du da machst, es muss von Herzen kommen.
BR: Also seht Ihr Eure (Band-)Engagements in keinster Weise auch als Arbeit an?
Joe: Na, auch all das was wir machen kommt halt vom Herzen.
Brandon: Und harte Arbeit ist es gleichzeitig, was wir machen. Aber wir wollen das alles ja auch, und wären ohne auch gar nicht hier.
BR: Kommen wir doch mal ganz kurz auf das leidige Thema: Nachdem ihr Euch wie viele andere Bands auch gegen die Wiederwahl von George W. Bush stark gemacht habt und es trotzdem so kam – war das nur frustrierend oder noch mehr Ansporn, weiter zu machen?
Brandon: Schwer zu sagen. Entäuschend war es schon. Ich denke aber wir und alle anderen haben schon viele Leute erreicht mit z.B. punkvoter.com und all dem – zu tausenden haben die Kids da mitgemacht. All das macht schon einen Unterschied, aber offensichtlich noch nicht genug.
Joe: Wir haben wirklich getan was wir konnten. Und das Endergebnis war ja dann auch wirklich eng. Unglücklicherweise wählten viele der älteren Leute einfach das, was sie immer wählen, oder aus dieser Angst vor Terrorismus heraus. Die dachten dann, dass George Bush sie schon beschützen würde. Solche Menschen sind leider alles andere als offen und wollen erst gar keine neuen Ideen hören.
BR: Wie schon erwähnt schlägt „State Of The Union” ja z.B. sehr in diese Kerbe. Glaubt Ihr, dass sich Leute außerhalb Amerikas damit identifizieren können oder damit genug anfangen?
Brandon: Wenn man sich ausschließlich über Dinge äußern würde, dien allein in Amerika passieren, könnte das passieren vielleicht. Aber ein Thema wie George Bush ist so global, da kann jeder was mit anfangen.
BR: Ist es zu einfach, sich über solche Dinge zu beschweren?
Brandon: Zu einfach? Nun, das Thema ist einfach zu wichtig in Amerika, und so fühlen wir uns einfach. Ich weiß nicht ob es einfach ist, glaube aber nicht, dass es Aktionen wie Rock Against Bush oder ähnliches sind. Klar weiß man nicht bei allen, die auf der Bühne kurz den Mittelfinger gegen Bush erheben, wie viel dahinter steckt. Bei denen die wir kennen tut es das aber.
BR: Hier in Europa kam es einem manchmal fast so vor, als wäre die Sache hier eine größere gewesen, als in vielen Gegenden der Staaten selber, mal abgesehen von z.B. der Punk-Szene.
Brandon: Nein, also natürlich war es überall ein großes Thema. Immer wenn eine Präsidentschaftswahl ansteht, ist das ein großes Ding überall, nicht nur für Bands oder so. Anderes zu denken wäre auch lächerlich. Eine Menge Leute kümmern sich um die Wahlen, so ist das nicht. Aber wie Joe eben sagte: Viele der Leute, die wählen gehen, sind meist älter, so zwischen 45 und 75. Viele der jüngeren gehen nicht. Selbst wenn da also eine Gruppe 18jähriger sagt „That’s bullshit, we need to change this“ ist das nicht die Gruppe, die eigentlich die Wahl bestimmt. Trotzdem ist die Wahl eine riesige Sache. Viele Amerikaner denken schon, dass er der wohl schlimmste Präsident Ever sei.
BR: Neben den thematischen persönlichen und politischen Einflüssen, was beeinflusst Euch musikalisch?
Joe: Ich denke da an die Descendents, Bad Religion, Sick Of It All, Minor Threat, die haben alle schon einen großen Einfluss auf uns. Die Energie, die diese Bands haben, versuchen wir zwar nicht zu kopieren auf der Bühne, aber wir versuchen, denselben Effekt zu haben, den diese Bands auf uns hatten. Aber Brandon und ich sind außerdem große Fans von Elvis Costello, The Police, Elliott Smith, komplett anderen Sachen also.
BR: Und wenn Euch jemand fragen würde was ihr selbst für Musik macht, der Euch nicht kennt, was würdet ihr ihm erzählen?
Joe: Aggressiven Punkrock oder so was.
Brandon: Um so was zu beschreiben, sagt man ja gerne, womit es wohl Ähnlichkeit hat. Und wir haben halt z.B. einige Songs, die ähnlich wie Bad Religion, andere die wie NOFX klingen. Oder Jello Biafra.
BR: Ihr habt vor einigen Wochen in Belgien beim Groezrock-Festival gespielt. Wie laufen solche Sachen in Amerika?
Joe: Oh, Festivals solcher Art gibt es bei uns gar nicht wirklich! Wir haben z.B. die Warped Tour, aber sonst ist es komisch, da klafft schon eine große Lücke, gerade bei solcher Musik.
Brandon Einige Radio-Stationen haben ihre kleinen Festivals, aber die sind meist nicht so der Bringer…
Joe: Und hier ist es super, besonders wenn man mit sovielen anderen Bands zusammenspielt, die teilweise unsere Freunde sind. Man kann dann schon mit Jungs rumhängen, die man sonst längere Zeit nicht sieht, z.B. Lagwagon, das macht Spaß.
BR: Könnt ihr mir was zu diesem Skate-Film-Projekt erzählen, in dem ihr neulich erst mitgespielt habt?
Brandon: Wir spielten mit „Nervous Breakdown“ und “Fix Me“ zwei Black Flag-Songs, die wir mit Bill Stevenson, dem Drummer von Black Flag, aufnahmen. Im Film selber spielen wir einen Song in so einer Bar-Szene, in der es dann zu einer Schlägerei kommt, während wir im Hintergrund performen…
BR: Skatet ihr denn selbst?
Brandon: Als ich jünger war, hab ich es eine Zeit lang getan, aber ich war nie sonderlich gut darin…
Joe: I still shred the red! Yeah, ich skate noch.
BR: Was sollten die Leute über euer aktuelles “Control Arms”-Projekt wissen?
Brandon: Uns und anderen liegt einfach daran, diese verdammten Waffen von den Straßen zu bekommen, denn das ist wirklich ein riesiges Problem bei uns. Keine Ahnung wie das hier bei Euch aussieht…
BR: Na wahrscheinlich nicht so krass wie bei Euch, aber in bestimmten Gegenden existieren sicherlich ähnliche Probleme.
Joe: Diese Organisation kontaktierte uns und fragte, ob wir das Ganze nicht etwas publik machen möchten, darüber reden und es so unserer Fanbase näher zu bringen. Da haben wir natürlich gleich zugestimmt, denn, klar, Waffen wollen wir nicht!
Brandon (lacht): Oh, wir sind natürlich selbst vollgestopft bis oben hin mit dem Zeug, nur die anderen sollen keine haben!
BR: Vorletzte Frage vor Eurem Abendessen: Was würden Jungs wie ihr machen, wenn ihr von eurer Musik nicht leben könntet? Tut ihr doch, oder?
Joe: Nun, schon, wir touren und arbeiten soviel, da wäre null Zeit für einen gewöhnlichen Job nebenher.
Brandon: Aber sonst: An der Tankstelle wahrscheinlich!
Joe: Ja, oder im Supermarkt. Vielleicht sogar im Gleichen!
BR: Was motiviert Euch jeden Tag aufs Neue, aufzustehen und genau das zu machen was ihr macht, was gibt Euch die Energie?
Joe: Die Fans, definitiv.
Brandon: Ja, auf jeden Fall. Denn egal wie müde oder krank Du bist auf Tour, oder seit zwei Monaten Deine Familie nicht mehr gesehen hast, der Moment, in dem Du jeden Abend auf die Bühne gehst und die Kids siehst, der ist großartig und für den lohnt sich all das.
Joe: Speziell die Deutschland-Tour gerade ist der Wahnsinn. Die Shows sind alle ausverkauft, die Kids singen mit. Unglaublich, wenn Du 5000 Meilen weit fliegst und so was erlebst!
Fabian Soethof, 22.06.2005
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