Konzertbericht

Reeperbahn Festival - Hummel Hummel, Mors Mors

Reeperbahn Festival

Hummel Hummel, Mors Mors

Hamburg, St. Pauli
20.09.2011

Im letzten Jahr äußerte ich mich in höchsten Tönen zum Reeperbahnfestival, der den Stadtteil St. Pauli im Herzen Hamburgs jährlich für drei Tage in ein Mekka für Musikliebhaber verwandelt. Zum Reeperbahn Festival kommt man nicht, wenn man für großes Geld die immergleichen Headliner ansehen will. Es fordert von seinen Besuchern einen gewissen Entdeckergeist und auch ein wenig Vorbereitung ein, dafür belohnt es die Menschen mit einem exquisit ausgewählten und abgestimmten Programm zum moderaten Preis. Auch nach meinem zweiten Besuch auf der Konzertmeile zwischen Hafen und Schanze kann ich aus meiner Sicht sagen, dass man den Veranstaltern blind vertrauen kann.

Trotzdem begann das Festival mit einer persönlichen Enttäuschung: Die von mir abgöttisch verehrten RAVEONETTES mussten ihren Auftritt im Docks leider absagen. Die geballte Dosis Dänemark konnte ich mir dann doch noch bei FALLULAH abholen. Was für eine Frau! Stetig pendelnd zwischen aufgedrehtem Wirbelwind, zerbrechlicher Chanteuse und purem Sex riss sie die prall gefüllte Prinzenbar aus ihrer Lethargie, sang und tanzte sich dazu selbst in einen Rausch. Ein großartiger Auftakt. Beim Konzert traf ich einen Dänen wieder, mit dem ich kurz zuvor eine Zigarette vor einem Sexshop geraucht hatte. Er empfahl mir, unbedingt noch die folgenden THE SOUND OF RUM aus London anzusehen, die ich schon alleine aufgrund des dämlichen Namens meiden wollte. Es wäre ein großer Fehler gewesen. Am Mikrofon stand ein kleines, leicht pummeliges Mädchen von vielleicht 16 Jahren, welches die Prinzenbar auf eine Art und Weise in Grund und Boden rappte, die Mike Skinner oder Jamie T stolz gemacht hätten, während ein Gitarrist und ein Drummer (Schulfreunde?) schwelgerischen Postrock dazu spielten. Eine typische Reeperbahn Festival-Entdeckung. Statt für einen schönen Ausklang des Donnerstags zu sorgen, langweilten uns im Anschluss FRISKA VILJOR aus dem Docks hinaus und in die nächste Bar hinein. Nichts für ungut.

Der Freitag startete mit der immer wieder wunderbaren REEPERBAHN REVUE von Ray Cokes, der mit scharfer Zunge und köstlicher Selbstironie im Schmidt Theater drei Bands des Tages per Unplugged-Performance und Talkrunde vorstellt. Als erstes Konzert des Abends standen die wunderbaren FINDUS auf dem Programm, die zwar inzwischen mit „Sansibar“ und „Mrugalla“ zwei famose Alben im Gepäck hatten, deren großartige Vorstellung aber leider unter einem arg dumpfen Sound litt. Mit den GET UP KIDS erfüllte sich im Anschluss ein kleiner Traum, begleiteten sie mich doch durch die intensivsten Zeiten meiner Pubertät. Jedes einzelne Wort vom Album „Something to write home about“ saß noch. Schön, einfach schön! Da man sich beim Reeperbahn Festival immer wieder über den Weg läuft, befand ich mich schon bald wieder im Schlepptau des sympathischen Dänen vom Vortag, der sich unbedingt THE TWIN ATLANTIC ansehen wollte. Wieder ein guter Tipp. So sollte Emo heute klingen: Einfallsreicher und vielseitiger Punkrock mit intensiver Stimme, großem Gefühlskino und wenig Rumgeheule. Es ging weiter in die piekfeine Moondoo-Bar inmitten der Stripclubs auf dem Kiez, wo die adrett gekleideten APPARAT ORGAN QUARTET eine obskure Performance von live vorgetragener Lounge-Musik boten. Ganz nett, aber deswegen wollte ich nicht auf die geschätzten ESCAPADO verzichten, die für mich immer noch eine der Speerspitzen des anspruchsvollen, deutschsprachigen Hardcore sind. Das Indra war gut gefüllt und ESCAPADO waren auf der Bühne wie immer eine Macht. Umso trauriger, dass sie nach dem Konzert mit kryptischen Worten ankündigten, dass es das fürs Erste mit der Band gewesen sei. Man darf gespannt sein. Auf die RIFLES im Docks freute ich mich auch schon lange. Dass ich nach ein paar Songs auf einer Couch in der Halle einschlief (!), wirft allerdings nicht gerade ein gutes Licht auf die Band. Ich schiebe es trotzdem in erster Linie auf meine Müdigkeit nach einem langen Tag.

Das dicke Ende stand ohnehin noch bevor, der Samstag sollte die bisher schon wunderbaren Konzerterlebnisse nochmals toppen. Nachdem die REEPERBAHN REVUE restlos überfüllt war, fanden wir uns bald im Kukuun wieder, was eher einer ausgeräumten Wohnung als einer Bar ähnelte. Standesgemäß wurde diese beim Showcase der durchgeknallten kanadischen Indierocker GOLD PANDA ordentlich zerlegt. Die Anarchie ging aber gerade erst los: Nachdem LET’S WRESTLE mit ihrem absurd lauten Schrammel-Poppunk viele Gehörgänge in der Pooca Bar dauerhaft geschädigt hatten, ging es weiter ins Molotow, wo wir den Auftritt von CHUCKAMUCK sehen wollten, da diese schon auf dem Dockville eine wunderbar chaotische Show voller großer Melodien, verpackt in kleinen Indiesongs, lieferten. Das Molotow war gerammelt voll und die blutjunge, in Unterhosen gekleidete Band schaffte es, binnen weniger Songs, mit ihrem beunruhigend kehligen Gesang die Masse in einen einzigen schwitzenden Mob zu verwandeln. Es flogen volle Getränke, Schuhe, Feuerzeuge und Menschen durch die Luft, während CHUCKAMUCK mit ihren eingängigen Chören und ihrer ansteckenden guten Laune die Energie stetig am Siedepunkt hielten. Man wünscht Ihnen die großen Bühnen, obwohl solche Konzerte dann ein Ding der Unmöglichkeit würden. Glücklich und vor allem aufgeheizt ging es weiter zu BRATZE in die Große Freiheit 36. Es spricht für die Livequalitäten einer Band, wenn sie zu zweit eine große Halle zum Ausrasten bringen kann. Es wurde getanzt als gäbe es kein Morgen. JA,PANIK im Grünspan, die seit ihrem letzten Album „DMD KIU LIDT“ von mir geradezu hündisch verehrt werden, waren eigentlich mein designiertes Highlight am Wochenende, jedoch sah ich nur das halbe Konzert, weil sich meine wunderbare Begleitung schnell langweilte – verständlich, denn gerade die neuen Songs dieser Band zünden einfach nur, wenn man jedes einzelne Wort schon kennt. Dann aber richtig. Wir sehen uns wieder, ihr dürren Österreicher! Schon leicht ausgepowert machten wir uns auf den Weg zu FRITTENBUDE, die sich gerade abschließend für ihren großen Hit „Mindestens in 1000 Jahren“ abfeiern ließen. Die Band wirkte müde und leicht gelangweilt, was durch die absolut verhunzten Freestyle-Raps nicht gerade verbessert wurde. Ich mag die Alben, aber das hätte ich mir besser vorgestellt.

Kein Grund für schlechte Laune: Nach einem kurzen Abstecher zur Aftershowparty im Molotow ging es weiter in die Schanze, wo nach dem ersten Bier in der Bar Mutter auch schon JA,PANIK nebst Rick McPhail von Tocotronic eintrudelten. Man kennt sich, man trifft sich, und man freut sich zusammen an diesem großartigen Festival. Katalysiert von kühlem Bier und großen Klängen umarmt man das Leben, die Musik und die wunderbaren Menschen, mit denen man all das teilt. Die Nacht wird länger und länger und länger und einmal aufs Neue erkenne ich, dass ich fürs Erste genau hierher gehöre.

Foto: Stefan Malzkorn

Benedikt Ernst03.10.2011

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