Interview
Incubus
Wir wollten uns einfach nicht wiederholen
Zur Veröffentlichung des neuen Incubus Albums “A Crow Left Of The Murder” beantworten Sänger Brandon Boyd und Gitarrist Mike Einziger uns alle Fragen zum neuen Werk
BR: Was haltet ihr von der neuen Platte “A Crow Left Of The Murder”? Da sind ja einige Songs drauf, die es auf euren letzten beiden Alben so nicht gegeben hätte…
Mike Einziger: Nun, zuerst Mal finden wir alle Songs super, die auf der Platte gelandet sind. Die abgedrehten Songs wollte ich eigentlich direkt an den Anfang packen, aber da wurde ich überstimmt. Das ist schon okay. Wir lieben die Songs und die Platte ist wie aus einem Guss. Am Anfang werden die Leute angelockt und später, so ziemlich in der Mitte, wenn sie es gar nicht erwarten, nimmt die Platte eine überraschende Wende. Die Leute werden also mehr gefordert und sind gezwungen, sich intensiver damit auseinanderzusetzen. Das macht mehr Spaß, als von Beginn an mit offenen Karten zu spielen
BR: Ich dachte erst, dass ihr euch den Titel des Albums bei einem Gedicht oder einem Buch ausgeliehen hättet. Er ist aber auf eurem eigenen Mist gewachsen, oder?
Brandon Boyd: Der Titel ist sinnbildlich zu nehmen. Wenn man den Titel „A Crow Left Of The Murder“ zum ersten Mal hört, schießen einem direkt die passenden Bilder dazu ins Hirn. Mit dem Wort „Murder“ assoziiert man Dinge wie Schande oder Konfrontation. Wenn man sich aber näher damit beschäftigt merkt man, dass es nicht zwangsläufig etwas mit dem Tod zu tun hat. „A Murder Of Crows“ ist ein Vergleich mit willenlosen Menschen und der Idee, wie man sich von ihnen distanziert.
BR: Eure Texte spielten sich bisher immer auf einer eher persönlicheren Ebene ab und waren nie wirklich politisch. Denkt ihr, dass ein Leben, so wie ihr es führt, an sich schon als politisches Statement gewertet werden kann? Ihr seid schließlich Künstler und kommt eine Menge in der Welt herum.
Brandon Boyd: Auf jeden Fall! Wenn man eine wachen Verstand hat und dazu noch in der ganzen Welt unterwegs ist… Wenn man dagegen niemals aus Amerika rauskommt, nichts in Frage stellt oder sich niemals über Dinge aufregt, die einen persönlich nichts angehen – Dann ist das wohl eher schwierig. Mit zunehmendem Alter und einer Menge Erfahrung kann man sich auf jeden Fall eine politische Meinung bilden. Nicht, dass wir jetzt eine politische Band werden, das nicht, aber Denkanstöße können wir in jedem Fall geben.
BR: Hattet ihr euch vorgenommen, eine andere Richtung als auf „Morning View“ einzuschlagen?
Brandon Boyd: Geplant haben wir das nicht, nein. Wir zerbrechen uns eher den Kopf über einzelne Songs oder über die Texte, und Mike macht sich viele Gedanken was sein Gitarrenspiel betrifft. Wie sich die Platte schlussendlich anhört, kann man im Vornherein aber nicht planen. Die Songs sollen sich einfach ganz natürlich entfalten. Wie ein organischer Prozess, so könnte man das sagen.
BR: Eine Veränderung in euren Songs ist trotzdem nicht zu überhören. Was war denn der entscheidende Punkt, etwas neues auszuprobieren?
Mike Einziger: Wir wollten uns einfach nicht wiederholen. Das war bei uns aber schon immer so, denke ich. Also haben wir diesen Gedanken erneut aufgegriffen. Außerdem erwarten unsere Fans das auch. Wenn wir eine neue Platte raus bringen, darf sie niemals so klingen wie das Album davor. Die Platte ist sehr abwechslungsreich, und es gibt auch einige sehr überraschende Momente.
BR: Im Nachhinein sind euch die Songs auf „Morning View“ also zu ähnlich?
Mike Einziger: “Morning View”, unsere letzte Platte, ist nicht wirklich so abwechslungsreich. Klar gibt es Momente, wo wir uns voll ausgetobt haben - für mich jedenfalls. Wir wollten aber einfach nicht das selbe noch mal machen. Die neue Platte soll die Leute einfach mehr überraschen.
BR: Mike, auch dein Gitarrenspiel hat auf „A Crow Left Of The Murder“ ein wenig verändert. Siehst du das genauso?
Mike Einziger: Ich wollte als Gitarrist auf keinen Fall irgendwie einen auf “dicke Hose” machen. Ich wollte eher mit Bass und Schlagzeug zusammenarbeiten, um ein Fundament für die Texte und die Melodien zu schaffen. Und ich denke, das hab’ ich auf der Platte auch ganz gut hinbekommen.
BR: Was hat dich in der letzten Zeit denn sonst noch so als Gitarrist beeinflusst?
Mike Einziger: Wir haben einen neuen Bassisten, der hat mich musikalisch ganz schön herausgefordert. Er ist ein unglaublicher Bassist und ein wirklich cooler Typ zum abhängen und Musik machen. Ich musste mit ihm ständig etwas neues austüfteln, und das hört man auf der Platte auch. Es war wie eine Kettenreaktion die da ausgelöst wurde, und wir trieben uns ständig zu neuen Höchstleistungen. Ganz davon ab hat es eine Menge Spaß gemacht. So viel Spaß hatte ich beim Musikmachen noch nie.
BR: Hat sich sein Einstieg auch auf eure (die drei “alten” Bandmitglieder) Beziehungen untereinander bemerkbar gemacht?
Mike Einziger: Wenn es Veränderungen gab, dann waren es positive Veränderungen. Er ist ein sehr talentierter Musiker und eine wirklich sehr inspirierende Person. Er spielt Gitarre, er spielt Bass, Schlagzeug und er singt – alles gleich gut. Er hat auch noch andere Sachen am laufen, wo er singt und eigene Songs schreibt. Er hat’s echt drauf, ist wirklich talentiert! Wir beschäftigen uns alle noch mit anderen Dingen neben der Band, und er kann das sehr gut nachvollziehen.
BR: War es schwierig für euch, als Dirk (alter Bassist) die Band verlassen hat? Und noch viel wichtiger: war es schwierig, einen geeigneten Nachfolger zu finden?
Mike Einziger: Wir sind uns alle einig, dass sein Entschluss, die Band zu verlassen, für alle Beteiligten das Beste war. Wir waren gezwungen uns einem neuen Bassisten zu suchen, und glücklicherweise hat das Ganze für uns eine sehr positive Wende genommen. Ben (Kenney, neuer Bassist) ist wirklich großartig, und das hört man auf der Platte auch.
BR: “Morning View”, eure letzte Platte, wurde in einem Strandhaus in Malibu aufgenommen, was mit der Zeit ein wenig in ein „Klischee“ ausartete, da jeder darüber sprach. Seit ihr diesem „Klischee“ auf eurem neuen Album gerecht geworden?
Brandon Boyd: Die neue Platte haben wir in verschiedenen Wohnzimmern geschrieben. Entweder bei Mike zu Hause oder in einem kleinen, schnuckelig eingerichteten Haus, das wir uns extra gemietet hatten. Aufgenommen haben wir anschließend aber in einem normalen Studio.
BR: Und warum habt ihr euch für ein „normales“ Studio entschieden?
Brandon Boyd: Wir haben zu ersten Mal mit Brandon O’ Brien als Produzent zusammengearbeitet. Wir meinten: „Alles klar, dann nehmen wir wieder bei uns zu Hause auf!“, weil wir das bisher immer gemacht hatten. Aber Brandon meinte: „Okay, wir können das so machen, kein Problem! Aber ich muss dazu sagen: Ich denke, ihr kommt besser nach Atlanta in mein Studio, da sind wir echt besser aufgehoben!“ Er hat da nämlich seine Crew und eine Riesensammlung alter Instrumente.
BR: Seht ihr „A Crow Left Of The Murder“ als Statement, dass im Kontext eurer Band nahezu alles möglich ist, und man Incubus niemals in ein bestimmtes Genre packen sollte?
Brandon Boyd: So haben wir uns, ehrlich gesagt, schon immer gefühlt. Ich konnte das nie nachvollziehen, wenn uns Journalisten oder irgendwelche Leute mit anderen Bands verglichen haben. Ich fand’ das eher meist unglücklich und nicht unbedingt fair. Wir haben uns nie mit anderen artverwandten Bands verbunden gefühlt. Wir stachen da meiner Meinung nach schon immer etwas heraus.
BR: Ist es eigentlich komisch, wenn ihr euch die neue Platte anhört? Sucht ihr dann permanent nach möglichen Fehlern, oder könnt ihr euch die Platte „einfach so“ anhören?
Mike Einziger: Mag vielleicht komisch klingen, aber es geht uns gar nicht darum, ob wir die Platte mögen oder nicht. Wir hören sie uns einfach immer und immer wieder an, bis zu einem Punkt, an dem es einfach nicht mehr geht! Das ist schon ganz schön merkwürdig, das gebe ich zu. Unsere Platten sind für uns so etwas wie Fotoalben. Jede neue Platte ist für uns wie ein Fotoalbum!
BR: Brandon hat ja das Artwork zu “A Crow Left Of The Murder” gemacht. Findet ihr es traurig, dass sich andere Bands gar nicht in dem Maße darum kümmern, wie ihr es tut?
Mike Einziger: Es bedeutet uns so einfach viel mehr, und unseren Fans hoffentlich auch. Wenn man weiß, dass eine Zeichnung oder ein Foto von den selben Leuten erstellt wurde, die auch für die Musik verantwortlich sind, dann hat das schon was. Es bedeutet uns einfach eine ganze Menge, und den Leuten die hinterher in die Läden gehen hoffentlich auch.
BR: Brandon, du hast vor kurzem ein Buch namens „White Fluffy Clouds“ herausgebracht, eine Ansammlung deiner Gedichte, Zeichnungen und Geschichten. Hattest du schon mal das Problem, dass du nicht wusstest, für wen du eine Zeichnung oder einen Text verwenden willst? Für Incubus oder dein Buch?
Brandon Boyd: Nein, das hatte ich noch nicht! Ich male oder schreibe ja ständig, da kommt es gar nicht zu der Situation, dass ich nicht weiß, ob ich etwas für Incubus oder ein geplantes Buch verwenden möchte. Außerdem ist das ja mein erstens Buch. Ich würde sagen, dass beiderlei Dinge durchaus ihre Berechtigung haben!
Steffen Klein, 02.02.2004
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