Interview
Thursday
Thursday
Okay: Ja, Thursday machen – jetzt kommt´s, das böse Wort mit E - EmoCore. Ja, ich bin ein Mädchen. Und ja, ich höre EmoCore. Damit haben wir dann mal direkt alle Klischees auf den Tisch gepackt. Soweit alle abgeschreckt? Na prima, dann können wir ja anfangen.
Etwas skeptisch war ich ja schon, angesichts der Beliebigkeit vieler Emo-Hanseln, die sich wie Klone anhören und auch so aussehen. Je mehr ich mich aber mit Thursday im Allgemeinen und mit ihrer Musik im Speziellen beschäftige, glaube ich, dass es sich lohnt, mal etwas genauer hinzuhören. Zum Beispiel bei der aktuellen Platte „War All The Time“. Das ist ein Monster unter den sechskommasiebenachtzigdreihundertmillionen Auswüchsen diverser Werkskollegen. Ganz ehrlich. Grund genug also, sich mal kurz mit den Jungs zu unterhalten. All-American-Boy Tucker, der (zumindest äußerlich) Sonnyboy und Drummer der Band, und Bassist Tim, der Prototyp aller Indie-Hörer (Tattoos, kurze schwarze Haare unterm Cap und was sonst noch alles dazugehört) sprachen kurz vor ihrem Deutschland-Debüt-Konzert in Köln mit uns über Heimweh, Bier und ihren Wechsel von Victory zu Island. Aber beginnen wir doch am Anfang...
Eure Musik wird oft in die Kategorie „EmoCore“ eingeordnet. Was sagt Ihr dazu?
Tim: Emocore ist für mich nur ein Begriff. Er wurde nur erfunden, um einige Bands in eine Schublade zu stecken. Die meisten passen da aber überhaupt nicht hin. Nimm dir Jimmy Eat World: alle Welt sagt, die machen Emo, und fertig. Dabei kann man mit einem Begriff doch gar nicht die komplette Bandbreite einer Band abdecken.
Tucker: Für mich ist dieses ganze Emo-Ding mittlerweile zu sehr zu einem Modethema geworden. Also, man muss sich so und so geben, sich bestimmt anziehen, und sofort ist man EmoCore.
Und was ist mit euch, seid ihr Emocore?
Tim: Nein, sind wir nicht. Thursday ist Hardcore.
Tucker: Aber Hardcore mit Gefühl. (Ah, ja...).
Ich habe manchmal das Gefühl, dass Emocore der neue NuMetal-Hype ist, und genauso negativ besetzt ist.
Tim: Ja, das stimmt. Genauso ist es. Alle Welt sagt, so Thursay machen Emocore. Dann sagen die anderen, ne das höre ich mir nicht an, ich mag keinen Emocore. Dabei kann man das so gar nicht sagen. Das war beim NuMetal vor ein paar Jahren genauso.
Was gefällt euch besser? Wenn die Fans bei Konzerten rumhüpfen und moshen, oder sich ganz ruhig die Musik anhören?
Tim: Also, ich finde es immer besser, wenn man sieht, dass es den Leuten Spaß macht. Man spielt so viele verschiedene Shows und manchmal stehen einige Leute halt mehr `rum und hören zu. Und das macht dich krank, weil du denkst, dass die Leute gar nicht wirklich an der Musik interessiert sind.
Tucker: Uns ist es wichtig, dass die Leute Spaß haben – egal wie.
Was für ein Gefühl ist es, vor so vielen Leuten zu stehen und seine persönlichen Gefühle mit ihnen zu teilen?
Tim: Es fühlt sich großartig. (überlegt) Es fühlt sich großartig an, auf der Bühne zu stehen. Wenn es dann zu einem Austausch mit dem Publikum kommt... Es ist nicht so, dass wir vorne, hinter dem Mikro stehen, und dass Band und Publikum klar getrennt sind. Es ist immer eine Interaktion mit dem Publikum.
Aber ist es nicht schwierig, dermaßen persönliche Sachen wie den Tod eines Freundes vor so vielen Fremden zu durchleben?
Tim: Ja, das schon. Man kommt garantiert aber irgendwann an einen Punkt, an denen man Dinge bis zu einem gewissen Grad verarbeitet hat. An diesem Punkt wird es einfacher, sich mit diesen Sachen zu beschäftigen, das ist dann auch für einen selber gut. Und es gibt Zeiten, wie bei unserem ersten Album „Waiting“, wo es noch schwierig war. Es kommt auch immer auf den Song an. Jedes Mal, wenn wir die Songs spielen, verarbeitet man gewisse Sachen ein Stückchen mehr.
Eure Songs handeln oft von der sogenannten „Teenage Angst“, die Zeit, also in der sich viele unverstanden fühlen. Wie war denn eure eigene Jugend?
Tim: Natürlich gab es auch in meinen High School-Tagen Zeiten, in denen ich mich allein und isoliert gefühlt habe, in der ich nicht wusste, wohin ich gehöre und das Gefühl hatte, total anders zu sein. Und irgendwann versteht man, dass da jeder durch muss, und das das, was man da durchmacht, nicht verrückt ist.
Tucker: Ich habe die High School geliebt. Meine Freunde waren großartig, es war eine tolle Zeit. Aber als wir dann zum College gegangen sind, ist das alles total zusammengebrochen. Ich meine, mittlerweile spreche ich mit keinem meiner ehemaligen Freunde mehr. Für mich war die High School und die Freundschaften alles, und dann habe ich gemerkt, dass es in Wirklichkeit nichts war. Aber es ist cool, dass gerade so viele junge Leute zu unseren Konzerten kommen, und sich mit ihrer „Teenage Angst“ verstanden fühlen. Vielleicht mehr als bei anderen Hardcore-Bands wie „Sick Of It All“.
Thursday sagen über Thursday: wir sind nicht politisch. Warum schreibt ihr, im Gegensatz zu vielen Genre-Kollegen, keine politischen Texte, sondern eher über die individuellen Belange der Menschen?
Tim: Wir möchten keine allgemeingültigen Grundsätze unter die Leute bringen. Bands wie Boy Sets Fire machen das großartig, sie wissen was sie wollen, und haben vor allem eine Menge Ahnung, wovon sie reden. Aber ich möchte niemanden in eine bestimmte Richtung drängen. Jeder sollte für sich entscheiden, was richtig ist, und welche die richtige politische Richtung ist.
Tucker: Wir wollen den Leuten einfach die Augen öffnen, dass es alle Richtungen gibt. Dass sie nicht einer bestimmten Richtung angehören müssen. Manche Leute hören ständig: „Das ist falsch!“ Also denken sie: Das ist falsch! Was auch immer du für falsch hältst, ist falsch, und was du für richtig hältst, ist richtig.
Was hört ihr privat für Musik? In wie weit haben dieSachen Einfluss auf eure eigene Musik?
Tim: Ich höre Unterschiedliches, Bands wie Quicksand, My Bloody Valentine und viele Sachen aus dem Indierock. Steve zum Beispiel liebt The Who. Jeder hört halt was Anderes, und das hat alles Einfluss auf die Musik. Kleine Teile, über die man nicht nachdenkt, und dann fällt einem mit einem Mal auf: Hey, das hört sich an wie diese oder jene Band.
Tucker: Bei mir ist es vor allem Radiohead, die neue von Beck finde ich großartig. Es ist einfach so, dass wir früher irgendwie Teil einer dieser Bands wie „At The Drive-In“ sein wollten. Und jetzt solche Bands wie The Cure, Deftones, At The Drive-In so etwas wie eine Inspiration.
Könnt ihr ein bißchen was über den Songwriting-Prozess erzählen?
Tim: Geoff kümmert sich um alle Lyrics. Aber von der musikalischen Seite bringen sich alle ein. Es wechselt immer, also jemand sagt, hey, ich habe hier diesen neuen Song geschrieben, und die anderen sagen dann, okay, lass mal hören, was wir daraus machen. Oder Tucker hat einen Drumpart, den er vorstellt, und Steve kommt dann mit einem Gitarrending an. Jeder Song ist anders entstanden. Manchmal klatschen wir dann alles zusammen, aber es ist nicht so, als ob es da einen vorgeschriebenen Weg gäbe. Manche Ideen wirken auch zuerst etwas seltsam, aber dann wird daran gearbeitet und es passt.
Für mich scheint es so, als ob eure Songs zwischen totaler Verzweiflung und einem kleinen Schimmer Hoffnung pendeln.
Tim: Absolut, genauso ist es. Schließlich ist nicht alles schlecht und schwarz. Wir wissen, wie es ist, weit weg von allem zu sein. Besonders von dem Gefühl, dass alles doch noch gut wird. Und dann passiert was. Irgendwas. Und das kann dir wieder ein kleines Bisschen Hoffnung geben. Und alles scheint dann nicht mehr ganz so weit weg. Man muss halt das Gute und das Schlechte sehen.
Wie fühlt es sich an, soweit weg von zuhause, von der Familie und von den Freunden, zu sein? Man macht doch gerade auf Tour so viele Erfahrungen, die man kaum teilen kann. Führt das nicht zu Problemen in Euren Beziehungen?
Tim: Ich bin verheiratet, und meine Frau fehlt mir unglaublich. Und sie vermisst mich. Es ist schwierig nach Hause zu kommen, es ist ja nicht so, dass man weggeht, und wenn man zwei Monate wiederkommt, ist alles wie vorher. (auf seinem Baseballcap steht, wie mir erst jetzt auffällt, "Worlds Greatest Husband"...seufz)
Tucker: Es ist einfach nicht so, dass zuhause alles stehen bleibt. Man muss verstehen, dass beide Personen Erfahrungen machen, während die Zeit weiter vergeht.
Tim: Nur weil man nicht da ist, heißt es ja nicht, dass zuhause nichts passiert. Die Leute verändern sich.
Tucker: Wir hatten innerhalb dieser Tour einen Monat frei, und alles was wir wollten, war nach Hause zu gehen. Wir mussten die letzten neun Monate, die wir nicht da waren, in diesen einen Monat packen. Es ist, als ob du all deine Freunde und deine Familie in einem Monat mit vielleicht 30 Tagen packen musst. Man muss die Leute neu kennen lernen, manche Freundschaften neu aufbauen. Es ist so, als ob man eine Liste macht: heute möchte ich den Tag unbedingt Zeit mit meinem besten Freund verbringen, morgen mache ich was mit meiner Freundin, und am nächsten Tag muss ich meine Mom besuchen. Und ach, ja dann muss ich noch was zum Essen einkaufen, weil ich kein Essen mehr da habe. Es ist mehr eine Verpflichtung, alles da rein zu packen, und das ist schade und tut weh.
Wo seht Ihr Euch und die Band in zehn Jahren?
Tucker (versucht, den eindeutig nicht vorhandenen Bauch rauszustrecken): Hoffentlich etwas fetter als jetzt. (lacht) . Ich hoffe, dass ich immer noch Musik machen kann, die mir und vielleicht auch anderen gefällt. Also dasselbe wie zur Zeit, das wär schon gut.
Das könnte auf einem Majorlabel wie Island ja etwas schwieriger werden, das mit der Musik, die auch einem selber gefällt. Erzählt mir mal etwas über den Wechsel von Victory zu Island.
Tim: Wir haben einige „interessante“ Sachen mit Victory erlebt. Wir wurden zu Sachen gedrängt, und in Positionen gebracht, die überhaupt nicht mehr wir selber waren. Damit waren wir nicht einverstanden. Die Plattenfirma wollte Thursday in ein bestimmtes Genre pressen. Wir denken aber, dass die Musik für sich selber spricht, ohne großes Posing. Victory wollte außerdem, dass wir uns so und so benehmen, bestimmte Shows spielen, sogar die Kleidung sollte vorgeschrieben werden. Es ist lustig, egal ob auf einem Majorlabel oder einem Indie-Label. Es gibt immer Leute, die die falsche Vorstellung von deiner Musik haben. Wir denken, dass wir jetzt mit Island den richtigen Platz gefunden haben. Obwohl es ein Major-Label ist, haben wir das Gefühl auf einem Indie-Label zu sein. Es fühlt sich familiärer an, als ein Indie-Label.
Tucker: Es fühlt sich nicht an, als wenn wir eine Major-Band wären. Wir haben schließlich immer noch eigene Positionen. Wir haben die Möglichkeit, uns Bands von Indie-Labels auszusuchen, die mit uns touren können. Das Major-Label gibt uns die Möglichkeit, die kreative Kontrolle zu behalten. Wir wollen immer unsere eigene Musik machen, und unsere Meinung durchsetzen.
Was ist mit ihrer Vorband, Aerogramme? Habt Ihr die auch selber ausgesucht?
Tim: Wir haben die Band alleine ausgesucht. Wie immer, denn es ist uns wichtig, dass wir die Band bestimmen, die mit uns touren.
Tucker: Wir haben die Musik von Aerogramme das erste Mal vor sechs Monaten gehört. Ein Freund gab uns die CD, und wir fanden sie von Anfang an toll. Als sich dann langsam herausstellte, wann wir touren würden, fragten wir sie, ob sie mitwollen. Sie waren sich noch nicht sicher, aber wir bettelten solange bis sie schließlich doch mit dabei waren.
Tucker: Es macht wirklich Spaß mit ihnen zu touren und zu arbeiten. Gerade wenn man auf Tour ist und so weit weg von zu Hause, sind die Leute unterwegs unheimlich wichtig. Und wir sind alle mittlerweile echte Freunde geworden. So eine Art Familie „on the road“.
Lasst uns noch mal kurz übers deutsche Bier reden.
Tim: Ich habe mal in meinem Plattenladen gerabeitet, also ... (scheint gedanklich abzuschweifen) . Also, das beste deutsche Bier ist Beck´s. Heineken mag ich aber gar nicht so gerne.
Das ist aber kein deutsches Bier, sondern Niederländisches. Erzählt das bloß nicht in der nächsten Woche, wenn ihr da seid. Mir schmeckt Heineken trotzdem.
Tucker: Danke. Ja, Becks ist ein richtig gutes Bier. Hier schmeckt das aber anders als in den Staaten, viel besser.
Tim: Stimmt. In den USA schmeckt Becks furchtbar schäbig.
Tucker: Ja! Vielleicht liegt es daran, dass es in den USA nicht frisch ist. Hier wird es ja frisch um die Ecke gezapft.
Tucker: Ja, und in den USA ist das Zeug dann immer schon abgestanden. (Jepp, daran wird es liegen...)
Auf einmal flüstert mir der Promomann ins Ohr: „Das Essen ist fertig!“ Was? Das wars schon? Hallooo, wir haben doch gerade erst angefangen. 15 Minuten sind nunmal wirklich zu kurz sind, um diese Band kennen zu lernen. Ja, ja jetzt kommen sie, die Loblieder: die Jungs sind Profis. Und sympathisch. Obwohl sie schon den ganzen Tag Rede und Antwort stehen müssen, bleiben sie auch jetzt noch freundlich. Dass die Antworten dabei manchmal nicht weit entfernt von Plattitüden sind – tja, das ist nicht schön. Aber damit muss und kann man leben. Denn immerhin hat die Band ja auf ihren Alben eine Menge mitzuteilen. Das ist doch das, was zählt. Ladies und Gentleman, here they are: Thursday.
Michaela Tietz, 18.05.2004
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