Konzertbericht

Sarah Bettens - acoustic is the new rock

Sarah Bettens

Trustgame, Captain's Diary

acoustic is the new rock

Pulp, Duisburg
09.09.2005

Dass das Pulp in den Niederungen Duisburgs zu frühen Abendstunden mit einer handvoll Menschen so gemütlich sein kann, wird einem bei sonst regulären Discobesuchen dort gar nicht so bewusst zwischen Bier, Schweiß und Killswitch Engage und Atreyu. Umso schöner der Anblick, die wirklich schön erbaute „Grotte“ (Name des Mainfloors und Bühnenstandort) sich nur langsam füllen zu sehen, während auf der Bühne Sessel und Tischlampen der heimeligen Atmosphäre ihr übriges geben. Davon Gebrauch macht der Songwriter „Captain’s Diary“ als Opener des Abends nicht, er kommt allein mit einem Hocker, einem Mikrofon und seiner Gitarre aus. Und das macht der junge Mann aus Oberhausen wirklich hörenswert, wie er seine kleinen Perlen da vorspielt, als wäre er gerade auf einer Party um 4 Uhr morgens dazu überredet worden. Man könnte Dashboard Confessional erwähnen wollen, dafür sind Sebastian Müller's (bürgerlicher Name) Songs aber nicht hymnisch genug (ohne Wertung) und er viel zu normal. Er tut aber gut daran, nur eine handvoll Songs zum Besten zu geben, weil es auf Dauer doch ein wenig zu ermüdend werde könnte.

Law und Trustgame bezeichnen sich selbst wahrscheinlich als Lokalmatadore im besten Sinne. Teile von beiden bekamen heute Abend eine weitere Profilierungsplattform, die letztendlich aber aufgrund von Krankheit seitens Law nur von Trustgame’s Thorsten Schwesinger (Gesang) und Kai (Tasten) genutzt wurde. Und wer Trustgame kennt, der weiß immerhin ansatzweise, was ihn auf einem hier anberaumten Akustik-Gig erwarten könnte. Thorsten gibt gern den Poser Marke Scott Stapp, den Retter echter Rockmusik. Aber ein Catwalk auf so weites Terrain, wie sich die beiden heute vorwagen, der geht – sorry –einfach gar nicht. Da sitzt der The Calling-Frontbeau unglaublich gediegen in erwähntem Sessel, leger die Zigarette in der Rechten, Mikro in der Linken, und wäre gerne schon 80, sodass er seine aufregenden Lebensweisheiten zum Besten geben könnte. Kann er aber nicht. Deswegen brummt er zum durchaus guten Pianospiel von Kai tiefer, als die Kadetts auf dem Nachbarparkplatz liegen. Vokabeln: melodramatisch, theatralisch, schwülstig, fies. Bitte führen Sie die Liste nach eigenem Belieben fort. Man wartet förmlich darauf, dass der Junge zum – hoffentlich baldigen – Abschluss aufsteht, die Arme ausbreitet und sein Karma in die Menge wichst. Das bleibt glücklicherweise aus. „Mutige“ Coverversionen von z.B. den Killers leider nicht. Klar trifft Thorsten die Töne und damit bestimmt ins Herz mancher 14jährigen sowie in das derer, für die Pathos ein wirklich ausschließlich positiver Begriff ist – den Rest kleistert er zu. Viel zu viel des Guten. Danke für nur vier Songs.

Vergessen, weil auch zu egal, ist das Ganze spätestens, als die Person die Bühne betritt, für die sich heute Abend geschätzte 900 Menschen zusammengefunden haben. Sarah Bettens ist seit Anfang des Jahres mit ihrem Album "Scream" mehr oder minder solo unterwegs. Anklang dafür findet sie natürlich vor allem wegen ihres jahrelangen Daseins mit K’s Choice, die seit einiger Zeit aber bestenfalls auf Eis liegen, wie sie uns damals erzählte. Halb so wild, wenn man Zeuge ihrer Ausstrahlung werden darf: Zusammen mit Gitarrist Curt und Bassist Eric macht sie es sich samt ihrer Gitarre auf einem Barhocker bequem, und doch sind die Blicke ganz bei ihr, dieser schlacksigen und doch so einnehmenden Person, der nur ein kurzes „Hello everybody“ genügt, um alle Anwesenden auf ihrer Seite zu haben. Aber Kritiker sind heute Abend wahrscheinlich eh nicht anwesend. Im Gegenteil kommt man um manche Gedanken an teenie-hafte Fan-Obsessionen nicht drum herum: Da werden Fan-Club-Shirts getragen, da werden Schilder mit Textzeilen hochgehalten, da wird an mancher Stelle mitgeklatscht, wo man es sich nicht wünscht. Auffallend viele weibliche homosexuelle Pärchen sind auch darunter, aber das nur als Rand-Beobachtung. Sarah Bettens wirkt von der ersten Minute an: Leuchtende Augen, Grinsen, spürbare Wärme – sowohl auf als auch vor der Bühne. Es sind weniger ihre Songs an sich, sondern vielmehr noch die Intensität der Darbietung, die zusammen eine fast reinigende Wirkung haben. Da ist es vollkommen egal, hauptsächlich ihre neuen Solo-Stücke zu hören, sei es das charmante „Don’t Stop“, das älteste neue, melancholische „Turn Around“, das groovende „Come Over Here“ oder die Single „Not Insane“. Für K’s Choice-Fans, die heute wahrscheinlich 80 % des Publikums ausmachen, spielt Sarah „Almost Happy“ oder zum Ende des Sets hin den damaligen Überhit „Not An Addict“. Jubeln sollen die Fans doch bitte so laut es geht, am besten so als ob jetzt schon die WM 2006 wäre: „But unfortunately, Belgium is not good enough to be part of it – Dammit!“ Süß. Herzlich auch ihre Worte vor Ankündigung des letzten Songs: „Yeah, that’s sad, i know – but there may be a slight chance that we come back for more if you yell out and clap loud enough – after the song!” So kommt’s natürlich, und nach einer Zugabe gibt es auf Zuruf noch “20000 Seconds”, diesmal Sarah ganz allein mit ihrer Gitarre und ihrer bewegenden Stimme.

Ein wahrscheinlich würdiger Abschluss dieser Europa-Akustik-Mini-Tour, und von einem vollen Tourplan zwischen zwei Kontinenten (Parallel-Karriere in den Staaten) vor lauter Gelassenheit nicht die Spur.

Fabian Soethof11.09.2005

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