Konzertbericht
Thees Uhlmann
50 Shades of Uhlmann - Ein Meister der kleinen Beobachtungen
Stuttgart, Im Wizemann
22.03.2016
„Ich erwarte alle zur zweiten Halbzeit mit ein bisschen Glimmer“, befiehlt Thees Uhlmann in den Saal des Stuttgarter Wizemann – und leistet dem selbst Folge. Im zweiten Teil der Lesung seines Debütromans „Sophia, der Tod und ich“ sitzt der Autor mit einer ganzen Flasche Wein am Pult. Ständig wird das Glas gefüllt, am Ende ist die Flasche fast leer. Die Anekdoten sprudeln deshalb nur so aus ihm heraus: „A propos Stuttgart 21 – Die Stadt sieht ja mittlerweile aus wie nach einem Bombenangriff!“
Thees Uhlmann gilt als der wohl bekannteste Songschreiber Deutschlands. Dank seiner intelligenten, gesellschaftskritischen Liedtexte hatte er als Sänger der Hamburger Indie-Band Tomte große Erfolge, die er als Solokünstler ausbaute. Seine beiden Soloalben sprangen bis auf Platz zwei der Charts. Nebenbei schmeißt er als Labelchef das Hamburger Indie-Label Grand Hotel Van Cleef. Der Feuilleton beschreibt ihn auf Grund der lyrischen Tiefe seiner Songs als deutschen Indiepoeten. Uhlmann hat nun klammheimlich selbst ein Buch geschrieben, das die Spiegel-Bestsellerliste stürmte.
Gespannte Stille liegt darum über dem mit 250 Zuschauern gut gefüllten Raum. Der bodenständige Thees kommt in Jeansjacke mit Buttons auf die riesige Bühne, auf der diesmal keine Band auf ihn wartet, sondern ein kleiner Tisch mit Leselampe. Nach einer kurzen Begrüßungsrunde steigt der Wahlberliner in den Text ein. Der Tod klingelt an der Tür, um die von Uhlmann nur „Protagonist“ genannte Hauptperson mitzunehmen. Drei Minuten soll er nur noch zu leben haben. Plötzlich steht seine Ex-Freundin Sophia vor der Tür und gemeinsam mit dem Tod entwickelt sich ein abenteuerliches Road-Movie.
Immer wieder baut Uhlmann kurze Abschweifungen in sein Buch ein, die er auf der Bühne noch weiter ausschmückt. Schon im Buch sind diese durchaus interessanten und witzigen Beobachtungen etwas zu lang geraten. Während der Lesung wird dies noch auffälliger, denn es fällt Zuhörern, die das Buch noch nicht kennen, schwer der eigentlichen Handlung zu folgen. Natürlich ist Thees Uhlmann durch seine jahrelange Bühnenerfahrung geübt darin, kleine persönliche Geschichten witzig unter die Leute zu bringen. Bei dieser Lesung übertreibt er es aber ein wenig. Ein roter Faden ist nur bedingt erkennbar.
Natürlich liefert er durchaus interessante Anekdoten seines abenteuerlichen Lebens. So erhielt er beispielsweise zum Schreiben des Buches vor 12 Jahren 2000 Euro als Vorschuss von seinem Verlag Kiepenheuer & Witsch. Innerhalb von 6 Wochen war das Geld auf der Reeperbahn aufgebraucht. „Natürlich nicht für das was ihr denkt“, grinst Uhlmann. „Ich hab einfach zu viele Runden Bier ausgegeben.“ Er hätte es selbst kaum für möglich gehalten, dass aus dem Buchprojekt tatsächlich noch etwas wird. 12 Jahre später hält er nun sein Romandebüt in den Händen und die Freude darüber ist ihm an diesem Abend deutlich anzumerken.
Jetzt als Autor genießt Uhlmann eine ganz neue Form der Popularität. „Ständig werde ich auf Partys von Prominenten darauf angesprochen, wie toll sie mein Buch fänden“, sagt er mit zerknirschtem Gesicht. „Ich würde am liebsten schreien: ‚Ich habe davor schon 20 Jahre Musik gemacht!‘“ In der zweiten Halbzeit seiner Lesung wird nur noch eine einzige Passage aus dem Buch vorgestellt – und dies ist ausgerechnet die einzige Sexszene des gesamten Buches. Mit sichtlichem Vergnügen erzählt Uhlmann, wie sein Protagonist zum letzten Mal in seinem Leben Sex hat. Die Frage ist, ob das Publikum wirklich gerade diese Szene hören will, oder ob sie Uhlmann einfach im zweiten Teil des Buches am besten gefällt.
Leider bleiben so die tiefgründigen und nachdenklich stimmenden Stellen seines Buches auf der Strecke. Die größte Stärke seines Romans, sich in einfacher Sprache mit dem Tod auseinanderzusetzen, geht unter. Stattdessen sind Uhlmanns Bühnenwitze voller versteckter Anspielungen, etwa als er laut Stuggi willkommen heißt und andeutet, dass damit nicht Pop-Autor Benjamin Stuckrad-Barre gemeint sei. Der hätte auf Grund seiner Drogenexzesse derzeit andere Sorgen.
„Ist heute Abend ein HSV-Fan hier?“, fragt Uhlmann drohend in den Saal. Je länger er den Text mit seinen Anekdoten unterfüttert, desto deutlicher wird, dass sehr viel Uhlmann in seiner Hauptfigur steckt. So berichtet er von seiner Liebe zu Montagabendspielen in der Zweiten Liga und gemeinsamen Stadionbesuchen bei St. Pauli mit Kettcar-Bassist Reimer Bustorff. Jene Liebe zum Fußball, die auch seine Hauptfigur teilt.
Die zahlreichen Lacher im Publikum zeigen dennoch, dass Uhlmanns Version einer Lesung beim Publikum ankommt. Und wenn Zuhörer selbst in der schwäbischen Metropole 23 Euro für ein Lesungsticket zahlen und der Laden voll ist, hat er wohl auch mit seinem Buch nicht viel falsch gemacht. Nach 2,5 Stunden verlässt er die Bühne. Die von ihm selbst als „50 Shades of Uhl“ bezeichneten Erlebnisse sorgen noch lange für Gesprächsstoff in der Schlange vor seinem Signiertisch.
Michael Hellstern, 25.03.2016
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