Interview

The Delgados

Eine Band, die keine Erwartungen erfüllt

Ende September erschien mit „Universal Audio“ das fünfte Album der schottischen Indie-Institution auf dem hauseigenen Label Chemikal Underground. Obwohl The Delgados lange Jahre als Kritikerlieblinge abgetan wurden, könnte die Band nun mit ihrem aktuellen, eingängigeren Album auch hierzulande neue Anhänger für sich gewinnen. Standen auf den Vorgängeralben „The Great Eastern“ oder „Hate“ noch teils düstere, teils opulente und orchestrale Arrangements im Vordergrund, erscheint „Universal Audio“ unbeschwerter und optimistischer. Auf eine reichhaltige Orchestrierung verzichtete die Band für dieses Album zugunsten geradliniger Gitarren-Nummern, die allerdings auch den im Kontext der Delgados so vertrauten Tiefgang nie vermissen lassen.

Mit Bizarre Radio sprachen Emma Pollock (Gesang, Gitarre) und Alun Woodward (ebenfalls Gesang, Gitarre) über ihren Gesundheitszustand, „Universal Audio“, ihre Hörerschaft und die rege Glasgower Musikszene.

BR: Ihr seid ja schon eine Weile auf Tour. Seid ihr müde und wollt ihr nach Hause fahren oder macht es euch immer noch Spaß?

Alun: Ich war vor ein paar Tagen ziemlich fertig, weil ich mich erkältet hatte und ständig müde war. Aber jetzt fühle ich mich wieder wie ein Neugeborener. Als wir vor ein einigen Wochen von unserer US-Tour zurückkamen, hatten wir zehn freie Tage zu Hause, die wir auch gut zur Erholung brauchen konnten.

BR: Euer aktuelles Album „Universal Audio“ ist nun ein paar Monate auf dem Markt. Wie denkt ihr heute über die Songs? Hat sich eure Einstellung zu dem Album geändert, seitdem ihr damit auf Tour seid und sie jeden Abend von neuem spielt?

Emma: Ich denke eigentlich gar nicht viel über solche Dinge nach, weil wir die Arbeit für das Album endgültig abgeschlossen haben. Ich bin mit dem Resultat zufrieden und bleibe es auch. Es macht auch wirklich Spaß, die neuen Songs live zu spielen.

Alun: Mir macht es sogar mehr Spaß, die neuen Songs zu spielen. Sie sind einfach leichter umzusetzen.

Emma: Ja, „Universal Audio“ ist viel gitarrenlastiger als unsere älteren Alben.

BR: Stimmt, ihr müsst jetzt nicht mehr unbedingt 20 Musiker mitbringen, um die neuen Songs live spielen zu können.

Emma: Darauf kommt es letztlich auch allein an. Schließlich spielt man doch deshalb in einer Band, um sein Instrument auch zu spielen. Insofern machen die neuen Songs wirklich mehr Spaß.

BR: Zwei eurer älteren Alben „The Great Eastern“ und „Hate“ wurden von Dave Fridmann (Ex-Mercury Rev) co-produziert. Wie seid ihr mit ihm eigentlich in Kontakt gekommen?

Alun: Das geschah so um die Zeit, als wir „Peloton“ aufgenommen haben. Daves Manager hatte Songs von uns im Radio bei der John Peel Session gehört und rief uns an. Wir schickten Dave dann ein Exemplar von „Peloton“ und er meinte, dass er unsere Musik im Prinzip schon mag. Der einzige Grund, warum er das Album aber doch nicht so richtig toll fand, sei aber, dass er nicht daran arbeiten konnte. Dazu kam es dann aber bei „The Great Eastern“. Die Aufnahmen dazu fanden zwar noch in Glasgow statt. Beim Mixen allerdings kam dann Dave ins Spiel. Er ist wirklich ein großartiger Produzent. Wir wollten Dave eigentlich auch für unser neues Album gewinnen, aber das hat aus terminlichen Gründen leider nicht geklappt. Er hatte keine Zeit als wir Zeit gehabt hätten, weil er mit Mercury Rev im Studio beschäftigt war.

BR: Inwiefern habt ihr für „Universal Audio“ eine andere Herangehensweise im Vergleich zu den Vorgängeralben gewählt? Ihr habt diesmal ja weitgehend darauf verzichtet, mit einem großen Orchester zu arbeiten. War das eine bewusste Entscheidung?

Emma: Ja, wir haben schon ganz bewusst einen anderen Ansatz für „Universal Audio“ gewählt. Wir wollten dieses Mal einfach ein paar richtige Pop-Songs schreiben. Viele unserer älteren Stücke sind sehr schwermütig und emotional tiefgehend. Bei „Universal Audio“ stand ein bisschen eher der Spaß im Vordergrund.

Alun: Es läuft eigentlich meistens so, dass Emma und ich sehr poppige Songs schreiben, die wir den anderen dann vorstellen. Stewart (Henderson, Bassist) und Paul (Savage, Schlagzeuger) sagen dann aber meistens: „Neee, so könnt ihr es nicht lassen! Das ist viel zu eingängig!“ Am Ende unserer Auseinandersetzungen entsteht daraus meist ein ganz anderer Song. Dennoch machen die neuen Songs uns live einfach mehr Spaß.

BR: Viele eurer Songs sind ziemlich komplex aufgebaut und folgen keinem typischen Strophe-Refrain-Schema. Immer wieder finden sich neue Details und andere Strukturen. Geht euch ein solches Songwriting sehr leicht von der Hand oder ist das immer das Ergebnis eines längeren Prozesses?

Emma [lacht]: Naja, zu Beginn bestehen die meisten unserer Songs wirklich aus nichts weiter als aus einer Strophe und einem Refrain.

Alun: Dass die Songs so kompliziert werden, ist die Schuld von Stewart und Paul, über die ich mich ja gerade eben schon beschwert habe. Wir kommen stets mit nur einfachen Gerüsten ins Studio und arrangieren die Songs dann dort im Laufe der Zeit. Bei unserem aktuellen Album hatte unser Produzent Tony Doogan vielleicht den größten Einfluss auf die Entwicklung der Songs. Er hat uns immer wieder Anregungen gegeben, eine bestimmte Gitarren-Linie oder eine andere Harmonie einzufügen. So entstanden Stück für Stück die endgültigen Songs. Es ist in diesem Sinne ein Prozess, der sich über eine längere Zeit vollzieht.

BR: Als ich mich in „Universal Audio“ reingehört habe, ist mir aufgefallen, dass eure Lyrics an manchen Stellen sehr optimistisch und ermutigend klingen. Ich meine z.B. Songs wie „Get Action“, „Girls Of Valour“ oder „Now And Forever“. Da geht es darum, Dinge zu wagen, zu Neuem aufzubrechen und nicht aufzugeben. Aber auch bei älteren Liedern wie etwa bei „No Danger“ gab es schon diese teils euphorische Grundstimmung. Auf „Hate“ hingegen war die Stimmung düsterer. Natürlich gibt es auch auf „Universal Audio“ weiterhin traurige und schwermütige Passagen. Dennoch empfinde die Stimmung als positiver. Woher nehmt ihr diesen Optimismus?

Alun: Man muss einfach bedenken, dass es schön ist, am Leben zu sein. Gleichzeitig leben wir aber doch nur für eine sehr begrenzte Zeit. Man sollte das Leben daher besser genießen, anstatt sich andauernd über die schlechten Dinge Gedanken zu machen. Das heißt natürlich nicht, dass man seine Sorgen oder Probleme ignorieren sollte. Man darf sie auf keinen Fall ignorieren. Dennoch sollte man manchmal versuchen, sein gewöhnliches Leben für eine gewisse Zeit hinter sich zu lassen und auch einmal etwas Außergewöhnliches zu tun. Insofern findet sich auch diesem Album tatsächlich an manchen Stellen einiges an Optimismus.

BR: Gerade dieser Punkt macht eure Musik meiner Meinung nach so interessant. Man stellt sich ja oft vor, fröhliche oder optimistische Musik sei automatisch zugleich oberflächlich. Ich habe den Eindruck, dass viele Bands in ihren Texten gerade das Negative stark hervorheben, um sich gewissermaßen hervorzuheben. Eure Musik ist aber nun wirklich nicht oberflächlich und strahlt trotzdem immer wieder diesen Optimismus aus.

Emma: Als ich anfing, selber Songs zu schreiben, tat ich mich mit den Texten immer besonders schwer. Gerade solchen oberflächlichen Pop-Songs stand ich fast schon zynisch gegenüber. Mit der Zeit fiel es mir dann leichter, auch mal ein wenig in diese Richtung zu gehen. Einerseits sprechen Songs mit einfachen Texten mehr Hörer an. Sie find leichter zugänglich. Andererseits sind solche Songs besonders erfolgreich, deren Texte allgemeiner und so vage gehalten sind, dass sie in verschiedenster Weise interpretiert werden können. Neben der Musik an sich spielt es für den Erfolg wohl auch immer eine Rolle, dass all die verschiedenen Hörer sich auch von den Texten angesprochen fühlen. Jeder kann die Texte dann mit dem für ihn individuell relevanten Gehalt füllen. Über die Musik als solche lässt sich oft nur schwierig sprechen. Die Texte hingegen kann man lesen und sich genauer damit auseinandersetzen. Vielleicht hatte ich früher auch deshalb die Befürchtung, ich würde mich in den Texten zu weit öffnen. Heute fühle ich mich dabei etwas sicherer und kann auch mehr von mir selber offenbaren. Das hängt bestimmt auch damit zusammen, dass ich selbstbewusster geworden bin, weil ich jetzt bereits etwas länger in einer Band spiele.

BR: Welche Hörerschaft fühlt sich von euren Songs angezogen? Wie schätzt ihr das ein?

Alun: Ich weiß nicht so genau. Zu unseren Konzerten kommen immer sehr verschiedene Menschen. Es sind immer auch ein paar ältere Leute im Publikum. Letztens spielten wir eine Show in Portland und ich hätte schwören können, dass ich Emmas Mutter im Publikum entdeckt hatte. Eine Frau sah exakt so aus wie Emmas Mutter. Erst ein bisschen später habe ich registriert: „Ah ok, das ist sie doch nicht!“. Ich kann nicht genau einschätzen, welcher Hörerschaft unsere Songs gefallen.

Emma [lacht]: Ich glaube, dass sich vor allem Leute angezogen fühlen, die einen klassischen Pop-Song zu schätzen wissen. Das soll jetzt ja natürlich nicht wie ein Eigenlob rüberkommen. Viele Leute denken wohl, dass wir mit solchen Songs dienen können. Ich denke, dass die Leute, die unsere Musik mögen, nicht so auf Trends oder Style versessen sind. Zumindest gewinne ich diesen Eindruck, wenn ich mir unser Publikum jeden Abend ansehe. [lacht] Bei uns geht es einfach nicht um ein bestimmtes Image. Vielleicht ist es auch das, was manche Menschen an uns mögen. Dass wir eine Band sind, die keine bestimmte Erwartungen erfüllt, sondern einfach die Musik in den Vordergrund rückt.

BR: Ich würde gerne noch eine Frage über eure Heimat stellen. Glasgow hat ja eine fast schon unüberschaubare Vielzahl an guten Bands hervorgebracht. Da gibt es neben euch vor allem Belle & Sebastian, Mogwai, Aereogramme oder The Arab Strap. Ihr habt auch bei eurem Label Chemikal Underground selber so manche Band aus Glasgow im Programm. Wie erklärt ihr euch diese Vielfalt? Fühlt ihr euch untereinander alle verbunden oder macht da jeder nur sein eigenes Ding?

Alun: Ich glaube, das ist so eine Art Selbstläufer. Als die ersten Bands aus Glasgow erfolgreich wurden, ermutigte das andere Leute, ebenfalls Musik zu machen. Glasgow hat außerdem ziemlich viele gute Venues in jeder Größe zu bieten, so dass sich eigentlich immer Auftrittsmöglichkeiten ergeben. Dazu kommt, dass London sehr weit entfernt ist. Das ist gewissermaßen von Vorteil, weil junge Bands hier erst mal machen können, ohne nach nur zwei Konzerten sofort von den Medien vereinnahmt zu werden. Auf unserem Label Chemikal Underground sind eigentlich nur Bands, die wir auch persönlich kennen. Aereogramme, Mogwai, The Arab Strap oder auch Sluts Of Trust und Mother & The Addicts. Auch Belle & Sebastian sind Bekannte von uns.

BR: Stevie Jackson von Belle & Sebastian hat euch ja auch auf „Universal Audio“ unterstützt.

Alun: Ja, er spielte Mundharmonika bei „Get Action!“. Belle & Sebastian sind einfach auch menschlich unfassbar nette Typen. Ich denke, die Frage mit Glasgow ist ziemlich interessant. Städte wie Manchester oder Liverpool haben wirklich großartige Bands hervorgebracht. Aber dort herrscht zwischendurch immer mal wieder eine große Flaute. Andererseits ist das auch komisch mit Edinburgh. Die Stadt liegt ja nur 40 Meilen östlich von Glasgow und ist nur unwesentlich kleiner. Trotzdem ist da musikalisch absolut tote Hose.

BR: Immerhin stammen Ballboy aus Edinburgh.

Alun: Ja ok, Ballboy und Idlewild fallen einem noch ein. Aber ansonsten? Da gibt’s nicht mehr viel. Ich mag Edinburgh ohnehin nicht. Die Stadt hat fast nichts mit Glasgow gemeinsam. Alles ist so putzig. Es kommt mir fast wie in einem Vergnügungspark vor.

BR: Als ich mal dort war, war die ganze Stadt voller Touristen. Ähem, ich war ja selber Tourist damals, sollte mich also besser nicht beklagen.

Emma: [lacht] Ach, mach dir darüber keine Sorgen. Da kann man nichts machen. In Edinburgh sind immer viele Australier.

Alun: Sind in Deutschland auch so viele Australier?

BR: Hier gibt es nicht so viele, glaube ich. Wir haben mal Australier in Glasgow getroffen. Die trinken gerne mal zu viel.

Emma: Stimmt, die haben sogar eigene „Aussie Bars“.

Alun: Deutschland ist Glasgow ziemlich ähnlich. Bei euch ist auch immer schlechtes Wetter, oder? Hat bei euch überhaupt schon mal die Sonne geschienen? Als ich vor ein paar Monaten für einige Interviewtermine schon mal in Deutschland war, herrschte auch beschissenes Wetter. Und jetzt schon wieder.

BR: Naja, zwischendurch ist schon mal schönes Wetter hier. Es kommt sehr auf die Jahreszeit an. Zum Schluss wollte ich euch noch fragen, wie ihr denn nun eure Songs auf der Bühne umsetzt. Habt ihr weitere Musiker dabei, die euch unterstützen?

Alun: Ja, wir haben noch zwei Leute dabei, die sowohl Klavier als auch Violine und Cello spielen. Die Klavier-Parts spielen auf „Universal Audio“ ohnehin eine wichtige Rolle. Aber so viele wie früher sind wir heute nicht mehr auf der Bühne.

BR: Ihr könntet ja auch rüber in die Philharmonie gehen, um dort dann richtig aufzuspielen.

Alun: [lacht] Das wäre vielleicht zu teuer.

Emma: Ja, dann müssten wir bestimmt 100 Euro Eintritt verlangen. Da spielen wir wohl doch besser im kleinen Rahmen.

Martin Baum11.12.2004

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