Cd-Besprechung

Muff Potter

Von Wegen

Universal
Vö: 07.10.2005

Bewertung: 12 Punkte
Leserwertung: 10.6 Punkte
Stimmenzahl: 102

Wenn irgendwas gut ist, dann das hier

Anno 2000 erschien ein Album namens „Bordsteinkantengeschichten“ von vier Jungs aus Münster, das einen Nerv traf. Schwer zu sagen, welchen, aber die Schnittmenge lag irgendwo zwischen denen, denen mancher Links-Punk zu destruktiv war und solchen, denen das meiste andere doch zu glatt gebügelt war. Denn „rau“ war da noch die offensichtlichste Vokabel. Drei Jahre später festigte die Ansage „Heute wird gewonnen, bitte“ Muff Potters Koordinatensystem und erweiterte es gleichzeitig. Mehr Mut zum Pop, große Melodien, lauter kleine Hymnen.
Und heute, zwei Jahre weiter, stehen die Zeiten und Zeichen mehr als gut, dass sich der letzte Titel breiter bewahrheitet. Für eine breite Masse feiern deutschsprachige Chart-Perlchen (Namen bitte einfügen) als neuer National-Hype Hochkonjunktur, die Guten hingegen einigen sich auf Kettcar oder neue Hoffnungsträger wie Jupiter Jones. Und alle wollen neue Sprüche für Wände, Shirts oder SMS. Von wegen? Es hagelt: „Wir können auch ohne Spaß Alkohol haben“, „Wenn die Liebe ein Schlachtfeld ist, dann ist das hier Dein Den Haag“, „Zwischen Never Surrender und License To Ill liegt alles was ich weiß und alles was ich will“.
Aber, und das ist das wirklich Gute: Muff Potter 2005 sind genau das Gegenteil von dem, was mancher von einem Major-Debüt erwarten will: Kompromisslos. Musikalisch wie textlich. Der Standort Deutschland scheißegal, allein der Blick muss stimmen. Sie bedienten noch nie, sie schubsten, selbstverständlich war noch nie irgendwas.
So braucht’s nicht lange, wieder zu erkennen, wofür man die Muffs so mag: Zum einen für Texte, die weder zu verkopft noch zu stumpf sind, die sagen, was schon lange überfällig war, mit Befindlichkeitsbeschreibungen, die über manche aus Hamburg klingenden hinausragen. Zum anderen für diese Energie. Die kommt von Opener und Single „Alles nur geklaut“ bis zu „Antifamilia“ so gebeutelt und angry daher, wie Muff Potter seit fünf Jahren nicht mehr klangen. Zwei Gänge hoch statt einen runter - so soll Punkrock auf Platte klingen! Wo bei „Alles was ich brauch“ das anfängliche Schaudern, Muff Potter goes College-Rock, Gott sei Dank schnell wieder verfliegt, beweist das Titel- und Herzstück „Von wegen (aus Gründen)“ den schon vorher da gewesen Mut zum Pop, aber eben aus eigenem Antrieb.

Die Marschrichtung ist und bleibt aber klarer denn je: Krieg(t) den Arsch verdammt noch mal hoch! Aber, und da ist wieder der Unterschied: Nicht, damit es Deutschland besser geht, sondern den Menschen. Kollektive Identität, nein danke – nicht in Grenzen denken, sondern ohne. Keine Gegenwart ohne Vergangenheit, keine Zukunft ohne Gegenwart. Für Dich, für mich, für alle, nur bitte kein uns. Deutschland braucht keine Nationalsampler, genauso wenig wie es zwingend welche dagegen braucht (das just erschienene "I can’t relax in Deutschland"-Buch samt CD spiegelt durchaus die Richtung auf "Von Wegen" wider bzw. umgekehrt). Es braucht Menschen mit Standpunkt, die nachdenken statt nachgehen, Kopf und Herz und Bauch gleichermaßen ranlassen. Und bestenfalls nehmen einige von ihnen Alben wie „Von Wegen“ auf. Gut, dass das nun mehr Menschen hören werden.

12 Punkte (von max. 15)

Fabian Soethof, 07.10.2005

TRACKLIST
01. Alles nur geklaut
02. Wecker? tickt.
03. Alles, was ich brauch
04. Punkt 9***
05. Antifamilia
06. Von wegen (aus Gründen)***
07. Wenn dann das hier***
08. Feuerficker
09. 22 Gleise später
10. Bring Dich doch selbst nach Haus
11. Born Blöd***
12. Den Haag***
[ *** Anspieltipps ]