Cd-Besprechung

Bright Eyes - I'm Wide Awake, It's Morning / Digital Ash In A Digital Urn

Bright Eyes

I'm Wide Awake, It's Morning / Digital Ash In A Digital Urn

Saddle Creek Europe / Indigo
  Vö: 24.01.2005

Bewertung:  14 Punkte
Leserwertung:  11.4 Punkte
Stimmenzahl: 67

„Sei ruhig, Heulsuse!“ – so hörte man sie zuletzt oft maulen, die Rüpel unter den Musikkritikern, wenn sie sich mit der Musik von Bright Eyes – Chefrocker Conor Oberst befassen durften. „Grober Undank!“ möchte man ihnen entgegen brüllen. Und wenn diese Unkenrufe auch nach den beiden neuen Alben „I’m Wide Awake It’s Morning“ und „Digital Ash In A Digital Urn“ nicht vollkommen versiegen dürften, so steht doch fest: das was der junge Amerikaner hier anstellt, verdient nicht weniger als das Attribut „Weltklasse“. Unnötig wird es sein, das zu betonen. Diese Arbeit wird schon bald von großen Teilen der Medienlandschaft nur zu gern übernommen werden.

Zwei Alben, zwei Facetten des jungen Songwriters aus Omaha, Nebraska, der neuerdings in New York seinen Zweitwohnsitz eingerichtet hat. „I’m Wide Awake...“ enthält überwiegend ruhige Kompositionen im klassischen Songwriter-Gewand. Natürlich wieder unterstützt von Freunden aus dem Umfeld von Saddle Creek Records, lässt sich das Album als Fortführung des Ansatzes begreifen, den Oberst bereits auf den Vorgängeralben „Lifted...“ oder „Fevers & Mirrors“ verfolgte. Frischen Wind verbreitet dagegen das zweite Album „Digital Ash...“, auf dem Oberst elektronischer und fülliger zu Werke geht. Viel gibt es hier zu entdecken. Sehen wir es uns einmal an.

„Digital Ash In A Digital Urn“

So etwas wird als „das Pop-Album“ angekündigt? Die ersten Hördurchgänge jedenfalls gestalten sich sperrig. Finstere Beats pochen und die teils beängstigende Atmosphäre drängt sich dem Hörer fast schon auf. Doch wo bei der Musik der Nebel schon bald einer großen Klarheit Platz macht, bleiben die Texte Obersts schwere Brocken. „I told you son, the day would come, you would die, you die, you die, you die...“ hämmert Oberst bei „Arc Of Time“ in einem fiesem Stakkato-Rhythmus, bevor er stimmlich vollkommen gelassen fortfährt: „to the deepest part of the human heart / the fear of death expands“. Richtig gehört: das ganze Album bewegt sich thematisch zwischen Tod, Verzweiflung, Angst und Hoffnung.

Spätestens bei „Down In A Rabbit Hole“ ist man wie gefangen von der perfiden Stimmung und hängt Oberst förmlich an den Lippen. Da säuseln zarte Frauenstimmen und Streicher im Hintergrund, nachdem Oberst von Sekunde zu Sekunde bedrückendere Szenarien entwirft. Bei alledem zeigen sich gegen Ende von „Hit The Switch“ erste Ansätze von Hoffnung: „but then night rolls around and it all starts making sense / there is no right way or wrong way / you just have to live [...] / and at least i exist / what could mean more than this?“ Die vergleichsweise eingängigen Stücke „I Believe In Symmetrie“ oder „Ship In A Bottle“ suggerieren sogar beinahe gute Laune. Der Optimismus bestand bei den Bright Eyes aber schon immer aus sehr dünnem Eis. Grundlos zu erwähnen daher, dass Oberst alle positiven Gefühlsregungen durch seinen schier grenzenlosen Fatalismus ganz nach Belieben wieder umzustoßen vermag. Unter dem Strich bleibt hier nicht weniger als eine grandios inszenierte und abwechslungsreiche Achterbahnfahrt menschlicher Gefühlslagen, die sich kaum in Worte fassen lässt.

I’m Wide Awake, It’s Morning“

Alten Bright Eyes Fans wird dennoch die Akustik-Platte „I’m Wide Awake...“ besser gefallen. Hier spürbar beeinflusst von alten Songwriter-Größen, an anderer Stelle ganz im Country-Saloon oder schwermütigem Blues abgesackt, klingt das Album persönlicher und intimer als „Digital Ash“. Aber auch hier entfaltet sich ein Großteil der Wirkung erst über die Texte. Wenn Oberst bei „At The Bottom Of Everything“ einen Flugzeugabsturz als Rahmengeschichte für eine pointierte Betrachtung des Gleichlaufs eines von Sinn entleerten Lebens wählt, steht einem erst einmal der Mund offen. Auch bei „We are Nowhere, And It’s Now“ wird einem zunächst ein bisschen mulmig: „we are wheels that roll around / as we move over the ground / and all day it seems we’ve been in between the past and future town“. Dabei ist es gut zu wissen, dass allein die Musik so hervorragend ist, dass man sich zwischendurch auch mal das vertiefte Nachdenken über die Texte ersparen kann. Manchen Leuten wird das besser tun.

Ja, und auch die Liebe spielt hier eine Rolle. „First Day Of My Life“ heißt das Stück, das die Frauenherzen erfrischen wird. Noch viel erfrischender an diesem Album ist allerdings die Entdeckung des Politischen. Während Oberst im „Old Soul Song“ die Ausschreitungen bei einer Anti-Kriegs-Demo noch relativ nüchtern besingt, wird er im grandiosen „Landlocked Blues“ sogar angriffslustig. Folgend auf die Zeilen „our freedom’s a joke / [...] / and the whole world must watch the sad comic display / if you’re still free, start running away / because we’re coming for you!“ bläst eine Fanfare zum Angriff der Indie-Schlackse auf die US-Regierung. Die beste Idee seit Jahren!

Spätestens wenn Oberst bei „Road To Joy“ zum finalen Chaos aufruft, wird klar, dass sich hier wirklich Großartiges vollzieht: „i could have been a famous singer / if i had someone else’s voice / but failures always sounded better / lets fuck it up boys / make some noise“ lautet sein Befehl. Die Band folgt ihm gerne und greift in die Saiten, schlägt auf die Trommeln und bläst schief in die Trompeten als gäbe es kein Morgen mehr. Am Ende bleibt man sprachlos.

14 Punkte (von max. 15)

Martin Baum25.01.2005

TRACKLIST
I'm Wide Awake It's Morning

1. At The Bottom Of Everything
2. We Are Nowhere And It's Now ***
3. Old Soul Song
4. Lua
5. Train Under Water
6. First Day Of My Life
7. Another Travelin'Song
8. Land Locked Blues ***
9. Poison Oak
10. Road To Joy ***

Digital Ash In A Digital Urn

1. Time Code
2. Gold Mine Gutted
3. Arc Of Time
4. Down In A Rabbit Hole ***
5. Take It Easy(Love Nothing) ***
6. Hit The Switch
7. I Believe In Symmetry
8. Devil In The Details
9. Ship In A Bottle
10. Light Pollution
11. Theme From Pinata
12. Easy/Lucky/Free
[ *** Anspieltipps ]

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