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Silly Chicken

Silly Chicken Award - Jürgen W. Möllemann

"Über die Toten nur Gutes" galt schon vor über 2000 Jahren als moralische Verpflichtung. Der (wahrscheinliche) Suizid des bekannten Politikers Jürgen W. Möllemann bewegte die Gemüter, wir vergeben den SILLY CHICKEN AWARD dem Lebenswerk des früheren Vizekanzlers. Möllemann stand immer für spontane Politik, die an den Wurzeln des Volks ansetzte: Einfache Parolen, Verbindung von Emotion und trotzige, aggressive Formulierungen. Möllemann war Performance-Künstler, konnte biedere Gesellschaftsräume in Orte politischer Geschlossenheit und Euphorie verwandeln, aus dem Stehgreif das den Journalisten zum Diktat geben, "was jeder dachte und niemand sagen durfte". Tabuthemen hat er geliebt, Selbstdarstellung gelebt. Jüngste Beispiele: Die 18-Kampagne (die Ziffern 1 und 8 entsprechen der Stellung eines "beliebten" Initials im Alphabet) und die Flugblattaffäre. Als Abschluss seiner Karriere wählte er den Freitod: Im Angesicht der sich gegen ihn stellenden Ex-Partei FDP und der nach Veruntreuungen fahndenden Polizei konnte Möllemann einer letzten großen Inszenierung nicht widerstehen. Trotz allem darf man die Qual, die ihn zu letzter Tat trieb nicht vergessen: Sein Publikum, dem er so viel bot, stellte sich gegen ihn und verlangte schließlich seinen Abtritt vom Rampenlicht.
Hier liegt die Parallele zum Musikbusiness: Reine Unterhaltungsindustrie in erster und zweiter Linie. Trotz aller politisch motivierten Bands und noch so ausgefallenen Geschmäckern: es geht um Unterhaltung. Nimmt man mal ehrliche Zweitjob-Politiker wie THE INTERNATIONAL NOISE CONSPIRACY aus, können die verehrten Stars meist genauso wenig Sinnvolles zum aktuellen Geschehen sagen, wie man selbst. Nicht, das Anti-Kriegs-, Anti-Stoiber/Koch/Bush-Parolen nicht für gute Stimmung sorgen würden, aber eines sollte man nicht erwarten: Bands seien politische Sprachrohre. Werden nämlich diejenigen, die sich in G-vermindert so gut auskennen, vom Publikum zum politischen Vorbild erkoren, geht das schnell in die Hose. FILTER vermittelten beim BIZARRE-Festival 2002 einen ehrlichen Eindruck, aber USA-patriotische Sprüche führten unweigerlich zu Publikumsabwanderung und einem faden Beigeschmack beim Namen FILTER; nur sie können es halt nicht besser. Was nicht heißt, das wir uns nicht über engagierte Bands freuen (z. B. ASIAN DUB FOUNDATION oder BONO); Politik hat allerdings immer was mit Halbwahrheiten zu tun, Engagement geht von ehrlicher Überzeugung aus.
Insofern gilt unser Dank J.W.Möllemann, einem Inszenierungskünstler, der die politische Landschaft unterhalten hat, wie MARILYN MANSON die musikalische. Zuletzt sei noch gefragt, ob das denn überhaupt des Möllemanns Aufgabe war (oder ob er einfach einem Angebot/Nachfrage-Gesetz gehorchte) und wieso so einer soviel Geld auf Schweizer Konten hatte; nichtsdestotrotz gibts den SILLY CHICKEN AWARD.

Burkhard Fückel12.06.2003

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