Konzertbericht
The Dissociatives
The Presets
keine Freakshow
Köln, Prime Club
09.06.2005
Es scheint ja momentan in Mode zu sein, sich als Frontmann großer Rockbands eine Spielwiese zu suchen, der ganzen überschäumenden Kreativität ein Ventil zu verschaffen und Grenzen zu sprengen. Daryl Palumbo macht mit Head Automatica Dancefloor-Pop statt Hardcore, Chino Moreno chillt mit seinem Team Sleep. Und Daniel Johns, wieder genesener Kopf der einstigen als Nirvana-Nachfolger verschriehenen aber immer oder auch gerade dann großartigen Silverchair, will mehr als Rock- und Pop-Opern schreiben. Auch mal basteln, mit Beats, Beatles und einer Gewichtverteilung auf einen mindestens genauso musikalischen Freak namens Paul Mac – seines Zeichens eine Art Elektro-Guru in Down Under.
Um Johns’ immer offenkundigeren Hang zum Pompösen weiß man dabei ja spätestens seit dem 2002er „Diorama“. Dieser sowie sein Krankheitsbild der letzten zwei Jahre ließen hinsichtlich der Tourankündigung zweiseitige Erwartungen aufkommen: einerseits gespannte Freude auf ein Lebenszeichen von Johns. Andererseits aber: Wird er nun gänzlich die abgehobene Diva sein? Mehr wollen als gut ist? All das komprimieren, was ihm in naher Vergangenheit versagt wurde?
Weder noch, höchstens von allem ein bisschen – soviel wird man zumindest am Ende der Show im Prime Club sagen können. Dieser scheint nicht ausverkauft, was unter anderem an den gesalzenen Abendkassen-Preisen von schlappen 23 € liegen könnte. Auffällig viele kleine Mädels mit Silverchair-Shirts (und die, die keine trugen, hätte es gut gestanden) waren auch da, wenngleich Johns dieser Tage doch längst nicht mehr den schnuckeligen Rocksänger mimt. Bärtig, kurzhaarig und drahtiger denn je betritt er zusammen mit Kreativ-Kopf Paul Mac sowie Drummer, Basser und Programmierer (a.k.a. The Presets, die heutige Vorband) die kleine Bühne und eröffnet die Show mit dem live noch schleppenderem Album-Opener „We’re Much Preferred Customers“. Ob das verstört oder beeindruckt weiß man erst nicht so recht. Es braucht aber nur einen Song zur Eingewöhnung und das folgende, im Bandkontext mehr als eingängige „Somewhere Down The Barrel“, um etwaigen Befürchtungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Gegenteil: Johns ist entspannt und guter Dinge, vielleicht schon fast zuviel. „We love to be in cologne, and we want to rock your ass! “. Sagts, und trommelt weiter auf dem Monitor herum, spielt auch mal die Rock-Gitarre, mal nicht, lacht, bedankt sich artig und zeigt sich, ganz wie die Dissociatives, von experimentierfreudigster Seite. Und überzeugt trotzdem oder gerade deswegen durchweg. Denn eine Sache wird heute Abend deutlicher als je zuvor: Johns ist ein Stimmwunder vor dem Herrn. Bei Silverchair ja trotz letzter Entwicklungen immer noch in der Rock-Schiene eingefahren, nennt man das hier wohl austoben: Der Kerl mimt quasi beiläufig den schüchternen Jungen, die pompöse Diva, den Star-Tenor und in der „first played“ Punk As Fuck - Version von „Thinking In Reverse“ sowie einem neuen Song die beste Frontsau, für die sich jede Moshcore-Kapelle ein Bein ausreißen würde. Und alles mit einem Organ. Und das, ja das ist schlichtweg beeindruckend. Das gefällt auch Paul Mac, der von seinem Keyboard-Hocker hinauf lächelt und ebenfalls nicht müde wird, ausgelassen und ehrlich freundlich –Australier halt – dem Publikum zu danken. Nur im Hintergrund sitzt einer, der wohl am liebsten ganz vorne säße: Der Drummer und Percussionist wirkt wie eine pubertierende Mischung aus Mike Skinner und Noel Gallagher und genießt winkend und sich selbst feiernd sichtlich seinen Platz in der Mitte. 50 Minuten lang, dann applaudiert die Band sich von der Bühne, dass Publikum sie aber noch mal für zwei Zugaben inklusive Whiskeyflaschen-Solo darauf zurück. Nach einer Stunde elektronischer Genre-Sprengung, Kleinkunst, etwas Rock und viel zitierter Atmosphäre ist dann aber wirklich Feierabend. Schade bei den Preisen, aber bei einem Album war ja auch nicht viel mehr zu erwarten. Und was auf Platte trotz aller Ambitionen leider manchmal schon an einem vorüber gehen kann, hat sich live als toll, wirklich sehenswert und abwechslungsreich herausgestellt. Und Johns als mehr als rehabilitiert.
Fabian Soethof, 15.06.2005
TRACKLIST
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