Konzertbericht
Rheinkultur
Rheinkultur 2010
Bonn, Freizeitpark Rheinaue
03.07.2010
Die Rheinkultur stand in diesem Jahr unter keinem guten Stern: Bereits im Vorfeld hat die Stadt Bonn angekündigt die Zuschüsse zukünftig zu kürzen und wäre das nicht schon schlimm genug, meinte es der Wettergott am Samstag des ersten Juliwochenendes auch nicht besonders gut mit den Veranstaltern und Besuchern.
Schon am Bonner Bahnhof begann der Tag mit einigen Komplikationen, denn ganz schlaue Feierwillige haben mit einem Griff an die Notbremse den U-Bahn-Verkehr Richtung Festivalgelände erst einmal lahm gelegt. Um nicht unnötig lange im stickigen Tunnel zu verharren, entschloss sich ein großer Teil der Wartenden kurzerhand für einen halbstündigen Fußmarsch entlang des Rheins, hin zu den Rheinauen. Mit einem Blick gen Himmel, hätte einem dabei schon klar werden müssen, dass die brüllende Hitze sich binnen weniger Minuten in ein fulminantes Unwetter verwandeln sollte, denn die harmlosen weißen Schäfchenwolken wechselten ihre Farbe zügig in einen unheimlichen Grauton. Der Wolkenbruch ließ nicht lange auf sich warten: aus vereinzelten Tröpfchen wurde eine kalte Regendusche, begleitet von grollendem Poltern. Auch wer der Natur generell nicht viel abgewinnen kann, war froh unter einem der zahlreichen Bäume Unterschlupf zu finden.
Kurz vor dem Haupteingang, unter der anliegenden Bahnbrücke, schien sich eine große Gruppe Hippies und Punks nichts aus dem Wetter zu machen und feierte tanzend zur Titelmelodie des Nintendo Klassikers ‚Tetris‘, welche von einer dreiköpfigen Kapelle mit Kontrabass, Cajón und Saxophon dargeboten wurde.
Bei den Wassermassen, die von Oben herunter kamen, konnte man leider über viele Minuten nichts anderes machen außer warten, warten, warten. Das Warten schien sich gegen halb Vier gelohnt zu haben; kurzzeitig hat sich der Himmel für die Niederländer von MOKE erhellt, die jedoch vor einem überschaubaren Publikum spielten, denn lange hielt die Trockenheit nicht an und nach einer guten viertel Stunde ihres Sets regnete es weiter. Zudem hatten es die Britpopper auch nicht einfach, denn während sie spielten, begann das WM-Viertelfinalspiel Deutschland gegen Argentinien.
Rund 20.000 schauten sich die Übertragung beim Public Viewing auf der Großbildleinwand an, an deren Stelle in den vergangenen Jahren immer die grüne Bühne ihren Platz gefunden hatte. Sämtliche Medienvertreter versammelte sich derweil im Pressebereich unter Sonnenschirmen, die den Wassermassen so gut es ging standhielten. Das Spiel lief zwar gut für die deutsche Nationalmannschaft, doch das Wetter wurde immer schlechter; in der zweiten Halbzeit wurden Sturmwarnungen ausgesprochen, es gewitterte und beim ‚Rudelgucken‘ streikte dann auch noch der DVB-T Empfang – womit die Übertragung für den Großteil der Fußballbegeisterten Festivalbesucher ein jähes Ende fand.
Als ob der Fußballgott einen Packt mit Petrus geschlossen hätte, lichtete sich der Himmel nach einem phänomenalen deutschen 4:0-Sieg für den pseudo-polnischen Exportschlager DER FAMILIE POPOLSKI, die eine ganze Schar klitschnasser Fans vor der blauen Bühne versammelten. Aufgeschlagen sind die „Popolskis“ mit der kompletten Sippschaft, bei der man die Verwandtschaftsverhältnisse untereinander nicht ganz so leicht durchblickt. Nach dem typischen Intro schloss die Großfamilie - die bekannte Pophits in polkalastige Gewänder packt - symbolisch mit dem Publikum Bruderschaft; nach polnischer Sitte verteilte der jüngste Bruder Janusz zusammen mit Marek kleine Pinnchen Wodka an die ersten Reihen, bevor der älteste Bruder Pavel am Schlagzeug wieder das Regiment übernahm.
Mag die Familiengeschichte, die immer in kleinen Häppchen zwischen den einzelnen Stücken von Pavel erzählt wird, auch vollkommen verworren und abstrus sein, so ist sie doch gleichermaßen – wie die ganze Bühnenshow – unterhaltsam. In den vergangenen Jahren haben „Der Familie Popolski“ sich mit ihrer TV-Show, die im Abendprogramm auf dem WDR lief - einen wahren Kultstatus erarbeitet, der angesichts der Live-Auftritte völlig gerechtfertigt ist. Das Musikerkollektiv inszeniert sich selbst fabelhaft und unterhält mit ihrer komisch-schrägen Art das Publikum ohne Mühe.
Höhepunkt und Abschluss des Sets war der Hit „Cheri, Cheri Lady“, der vom schüchternen Bassisten Janusz, der sich dafür kurzerhand mit Hilfe des polnischen Nationalgetränks Mut angetrunken hat und sich die Klamotten – ganz zur Freude der weiblichen Zuschauer – vom Leib riss, als powergeladene Rapversion vorgetragen wurde.
Fast parallel spielten danach SONDASCHULE auf der roten Bühne und JENNIFER ROSTOCK auf der blauen Bühne. Bei den „Sondaschülern“ waren es viele junge Irokesen, die zu feinstem Ska-Punk und Mitgröhl-Knallern wie „Dumm, aber glücklich“ und „Alles Gute“ ihre Ellenbogen ausfuhren und miteinander fröhlich Pogo tanzten. Nebenan ging es bei Jennifer Rostock etwas ruhiger zu; viele Emo-Mädchen himmelten ihr bis zum Kinn tätowiertes Idol an und sangen textsicher alle Lieder mit. Für „Kopf oder Zahl“ holte Sängerin Jennifer deshalb eines der Mädchen aus dem Publikum auf die Bühne und hat ihr das Mikrofon für den Song überlassen; belohnt wurde der Mut der 15-Jährigen mit einem kräftigen Applaus.
Später am Abend war dann das Unwetter vom Nachmittag fast vergessen, die nassen Kleider größtenteils wieder getrocknet und die Stimmung beim Co-Headliner MAX HERRE und beim Headliner MADSEN ausgelassen.
Insgesamt sieht die diesjährige Bilanz der Rheinkultur aufgrund der schlechten Wetterlage und dem konkurrierenden WM-Viertelfinale wohl nicht so rosig aus, wie in den Jahren zuvor. Laut den Veranstaltern fanden nur etwa 60.000 Leute den Weg zu den benässten Rheinauen, ein eher enttäuschendes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass es 2009 noch 170.000 Besucher waren.
Deshalb kann man jetzt nur hoffen und bangen, dass Deutschlands einstiges größtes, kostenloses Open-Air Festival im kommenden Jahr allen bürokratischen Hindernissen trotzt und wieder seine Tore öffnet.
katinka roggfeld, 04.07.2010
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