Interview
Ulme
"Wir sind noch nicht am Ende..."
Anfang Oktober fegte ein Sturm über Deutschland. „Tropic of Taurus“ hieß dieser Koloss von
Ulme, der deutschen Institution für Noiserock. Mit der neuen Platte haben Ulme neue
Maßstäbe gesetzt. Im Interview mit Gitarrist und Sänger Arne Heesch und Schlagzeuger Lutz
Möllmann, quetschte Bizarre Radio die beiden über Depressionen, unterdrückte Wut,
deutsche Rockmusik und Familie aus.
Bizarre Radio: Die Stimmung eurer Songs wird oft als apokalyptisch,
verzweifelt und depressiv beschrieben. Seid ihr hoffnungslose Pessimisten
oder kann man euch im Sommer mit Hawaiihemd an Strand Cocktails trinken sehen?
Lutz Möllmann: Manche Songs mögen bedrohlich wirken, es
gibt aber definitiv auch versöhnliche Momente im Ulme Kosmos. Es ist nicht
alles beschissen im Leben… nur der größere Teil.
Arne Heesch: Ich gebe nur das in meinen Texten wieder, was mir im leben
widerfährt...meine Grundeinstellung dem Leben gegenüber ist schon eher
optimistisch, man muss sich halt oft von Dingen befreien, damit das so bleibt.
an einigen Tagen möchtest du die Welt umarmen, an anderen
tagen ist dir vieles zuwider...Ulme ist das Ventil um mit dem Scheiß besser
umgehen zu können.
Bizarre Radio: Was ist der Unterschied zwischen den alten Ulme, vor der
Trennung, und den neuen Ulme. besonders in Sachen Sound und Band-Chemie?
LM: Ich kann nur die Gegenwart
kommentieren… alles super. Selten habe ich mich in einer Band so wohl
gefühlt.
AH: Der wesentliche Unterschied ist, dass wir in der jetzigen Konstellation
"nur" Freunde sind und unser Umgang vom gegenseitigen Respekt geprägt ist.
Wenn man mit seinem Bruder und seinem Cousin Musik macht, gibts manchmal
halt Tiefschläge aus dem familiären Bereich, man kennt sich halt zu gut.
Ich finde es gerade sehr bereichernd und fruchtbar mit Tim und Lutz in
einer Band zu sein. Vom Sound her ist nahezu fast alles beim alten, und ich
finde es gut, wenn man gewisse Veränderungen raushört...
Bizarre Radio: Auf euren Platten baut ihr wahrhaftige Wände an Sound auf.
Ist die Umsetzung des großen und dichten Sounds auf der Bühne ein Problem?
LM: Nein, wir spielen nichts im Studio
ein, dass wir so live nicht reproduzieren könnten. Es gibt zwar Songs, die
sich nicht so sehr für unser Live-Set eignen, dass hat dann aber eher mit dem Song
und der jeweiligen Stimmung zu tun. Dadurch dass wir extrem viel miteinander
gespielt haben, sind wir total aufeinander eingeschworen. Da kann live
mittlerweile eigentlich nur noch ganz wenig schief gehen.
Bizarre Radio: Apropos live: die Gretchenfrage für Musiker: Live oder Studio?
LM: Ganz klar: LIVE. Studioaufenthalte sind auch nett, aber für mich eher ein „notwendiges
Übel“. Ich lebe definitiv fürs Live spielen.
AH: Ich finde beides hat seinen Reiz. Wenn ich viel getourt bin, habe ich
oft das Bedürfnis, neue Songs zu schreiben und mich im Studio aufzuhalten.
Hab ich gerade ne Platte aufgenommen, zieht es mich auf die bühne...
Bizarre Radio: Bezogen auf die dichten Sound-Wände und den schrägen,
verzweifelten Gesang, folgen Ulme stets einem Schema: fette Riffs treffen
auf kranken Gesang! Inwiefern löst sich die neue Platte von dem Schema?
LM: Der ein oder andere Song auf der „Tropic of Taurus“ mag’ – im Gegensatz zu früheren
Werken – ein wenig harmonischer klingen. Das war eine ganz natürliche Entwicklung der
Ulme. Ich denke, dass innerhalb der Bandbreite von doomig krank bis harmonisch
mittlerweile alles möglich ist und gerade das macht die Platte so interessant.
AH: Ader neuen Platte kann man schon neue Facetten in unserer Musik
erkennen, einiges ist aufwändiger arrangiert als bisher. Das ist auch ein Verdienst von Kurt
Ebelhäuser, der uns ja produziert hat. Er schafft es wie kein anderer, neue Facetten an alten
Strukturen aufzudecken...
Bizarre Radio: Die meist sehr persönlichen Texte stimmen sehr nachdenklich. man hat das
Gefühl Ulme sind ein Ventil für Wut, Frust und Trauer. Steckt soviel Wut in euch?
LM: Schon ein bisschen, aber Ulme ist in der Tat ein gutes Ventil…
AH: Naja, Ulme ist halt voll mit starken Emotionen, darum geht es doch im
Leben, oder?
Und klar sind die Texte persönlich, warum sollten sie es auch nicht
sein. Schließlich geht es darum, so ehrlich wie möglich zu sein bei der
Bewältigung von schwierigen Lebenszeiten.
Bizarre Radio: Ihr seid mit der neuen Platte in alte Gefilde zurückgekehrt. in der Obhut von
Kurt Ebelhäuser habt ihr eure neue Platte aufgenommen.
War es wichtig in der alten Blue-Noise Umgebung aufzunehmen?
LM: Es war uns eine Herzensangelegenheit mit Kurt aufzunehmen. Wir haben im Vorfeld ein paar Optionen durchgesprochen, waren aber sehr schnell der einhelligen Meinung, dass Kurt
genau der Richtige sein würde. Und so kam es dann ja auch. Kurt hatte ein ziemlich genaues
Bild von Ulme 2009 vor Augen, dass sich glücklicherweise 1:1 mit unserem deckte.
AH: Ja, für mich war es wie ein Zurückkehren in eine familiäre Umgebung, dementsprechend
großartig war die Zusammenarbeit mit kurt. Er kennt Ulme seit den Anfängen und somit
wusste er auch wie wir klingen wollen. Hinzu kam, dass er, wie Lutz schon sagte, eine
Vorstellung davon hatte, wie Ulme im Jahr 2009 klingen sollte und diese auch unseren
Erwartungen entsprach.
Bizarre Radio: Blue Noise galt und gilt bis heute als Pionier für Underground-Musik in
Deutschland. Wie seht ihr die Entwicklung deutscher Rockbands zur Zeit?
LM: Wenn man in die Nischen geht gibt’s nach wie vor ein paar ganz hervorragende Bands
da draußen, die sich Abend für Abend den Arsch abspielen…leider zumeist unbeachtet von
der breiten Öffentlichkeit, die ihre Konzertausgaben auf ein paar Majorbands
fokussieren. Ich will hier nicht den Zeigefinger heben, aber einfach mal in den Club um
die Ecke zu gehen und eine vielleicht nicht ganz so bekannte Band zu supporten
hat noch keinem geschadet… und wer weiß, am Ende wird’s vielleicht die
neue Lieblingsband.
Bizarre Radio: „Tropic of Taurus“ ist ein Monster. Wie kann man solch
einen Brecher noch toppen?
LM: Danke fürs Kompliment. Kein Problem
wir sind noch lange nicht am Ende…
Bizarre Radio: Letzte Frage: Welche Platte habt ihr zuletzt zugelegt?
LM: DYSE „Lieder sind die Brüder der Revolution“
AH: Lou Barlow "goodnight unknown"
frank fischmann, 13.11.2009
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