Interview

The Good Life

Emotion, Kreativität und Sarah Kuttner

Im allgemeinen Trubel um die Bright Eyes dieser Tage darf man einen Mann nicht vergessen: Tim Kasher – einer der kreativen Strippenzieher und musikalischer Ziehvater der Saddle Creek Szene – ist nicht ganz unschuldig am überwältigenden Erfolg von Conor Oberst und seinen Bright Eyes. Gerüchten zufolge lehrte er Oberst das Gitarrenspiel, zudem war es Kasher, der mit der Formation Slowdown Virginia als erster seine Musik auf dem Label veröffentlichte. Cursive und The Good Life heißen seine aktuellen Projekte. Cursive zeigt die ungehobelt und aggressive Seite des Sängers, während Kasher bei The Good Life mit ruhigerem Songwriting seine melancholische Seite auslebt. Wenngleich beide Projekte Kashers in puncto Verkaufszahlen noch nicht den Status erreicht haben, wie ihn derzeit die Bright Eyes vermelden dürfen, so hat man es auch bei Kasher mit einem begabten und vielseitigen Künstler zu tun.

Auf „Album Of The Year“ – der aktuellen CD von The Good Life – reflektiert Kasher wie in einem Kalender die einzelnen Stationen einer Liebesbeziehung mit ihren Höhen, nicht zuletzt aber mit ihren Problemen und Tiefen. Oft glaubt man, Kasher selbst habe all die geschilderten Ereignisse am eigenen Leibe erfahren, so eindringlich und ehrlich klingen seine Texte. Man fühlt die Emotionen mit, sowohl die Freude, als auch den Schmerz und die Wut.

Vorhang auf: Mit Bizarre Radio sprach Tim Kasher unter anderem über seinen TV-Auftritt bei Sarah Kuttner auf VIVA, über die Entwicklung von Saddle Creek Records und die Aufrichtigkeit von Musikern in ihren Songtexten,


BR: Seid ihr zufrieden mit dem bisherigen Tour-Verlauf? Bei eurer Tour vergangenen Sommer waren die Zuschauerzahlen ja noch etwas mager.

Tim: Ja, es läuft eigentlich ganz rund. Ich würde sagen, dass 98 % der Konzerte gut waren. Ein paar mehr Leute kommen jetzt auch zu unseren Shows.

BR: Wie schätzt du eigentlich den Hörerkreis von The Good Life ein? Hast du den Eindruck, dass nur bestimmte Altersgruppen zu euren Konzerten kommen?

Tim: Ich kann das noch nicht so richtig einschätzen, weil unser aktuelles Album ja gerade mal ein halbes Jahr auf dem Markt ist. Bei jedem Konzert gewinne ich also noch neue Eindrücke. Aber es scheint so, dass zu den Good Life Konzerten etwas ältere Leute kommen. Aber da bin ich auch nicht so sicher. Bei Cursive waren es immer jüngere Zuschauer, einfach weil die Musik auch aggressiver und wilder ist.

BR: Vor ein paar Tagen hattet ihr einen Auftritt bei der Sarah Kuttner Show auf VIVA. Hat dir dieser TV-Auftritt gefallen?

Tim: Oh, das war nicht so dramatisch, wie man vielleicht meinen könnte. Mir fiel es relativ leicht, so etwas zu machen, weil ich eine ziemliche Distanz zu dem ganzen Geschehen hatte. Schließlich war die gesamte Sendung auf Deutsch und ich konnte das nicht übersetzen. (lacht) Eigentlich haben wir nur auf das Zeichen zum Spielen gewartet und dann unseren Song gespielt. Das war’s dann auch schon. Darüber habe ich auch schon mit anderen Leuten gesprochen. Viele meinten, dass die Sarah Kuttner Show wohl im Moment das Format in Deutschland sei, bei dem man neue Musik kennen lernt.

BR: Ich bin da etwas gespalten. Einerseits ist es natürlich schön, wenn gute Bands auf diese Weise vielleicht neue Hörer hinzugewinnen können. Andererseits denkt man sich: „Oh Mann ihr blöden VIVA-Menschen, warum hört ihr nicht euren Scheiß? Lasst doch bitte meine schöne Musik in Ruhe!“.

Tim: (lacht) Ja, das kann ich verstehen. In Deutschland herrscht im Moment ja offenbar ein Mangel an guten Musiksendungen im Fernsehen. Man hat mir erzählt, dass es bis vor kurzem noch eine sehr gute Musiksendung - „Fast Forward“ - gab, dann aber abgesetzt wurde. Die Sarah Kuttner Show scheint da wohl die letzte verbleibende Sendung zu sein, bei der noch alternative Musik zu finden ist. Ach ja, dieser Auftritt war schon irgendwie komisch. Wir sind da hin gefahren, ohne viel darüber zu wissen. Aber das ist generell so im Musikgeschäft, da gibt es so viele verrückte Situationen und Dinge, die man einfach nicht verstehen kann. Für mich ist zum Beispiel der gesamte Musikjournalismus ein großes Rätsel. Schließlich höre ich Musik, ich lese doch nicht über Musik. Aber es hat sich eine ganze Kultur des Musikjournalismus ausgebreitet und alle schreiben ihre Kommentare und Kritiken.

BR: Hörst du eigentlich noch gerne Musik, wenn du auf Tour bist? Schließlich hast du den ganzen Tag mit Musik zu tun. Hat man da nicht irgendwann die Nase voll?

Tim: Für mich besteht da eigentlich kein Zusammenhang zwischen unseren täglichen Shows und meiner Lust darauf, die Musik anderer Leute zu hören. Auf Tour kommt man leider nicht so oft dazu, viel Musik zu hören. Ich höre aber weiterhin sehr gerne Musik. Vor ein paar Tagen habe ich mir zum Beispiel extra Zeit genommen, um das letzte Fugazi Album zu hören.

BR: Ich will dir ja eigentlich nicht mit zu vielen Fragen über die Bright Eyes auf die Nerven gehen. Aber wie schätzt du die Auswirkungen des großen Erfolges der beiden Bright Eyes Alben auf euer gemeinsames Label Saddle Creek ein? Auf der einen Seite wird es euch natürlich finanziell weiterbringen. Andererseits dürfte künftig auch der Erwartungsdruck der Medien viel größer sein.

Tim: Ja, das sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Ich denke das geht uns allen so. Sowohl die Leute bei Saddle Creek als auch Conor selbst haben da wohl gespaltene Gefühle. Finanziell wären wir auch ohne diesen Erfolg nicht in Schwierigkeiten. Natürlich hilft das Geld schon weiter. Das ist schon ok. Aber es ist mit Sicherheit das Ende einer Ära. Man wird fortan bei Saddle Creek immer unterscheiden zwischen der Zeit vor dem Bright Eyes Doppelalbum und der Zeit danach. Vieles wird sich ändern. Es ist ein bisschen du gerade eben meintest, wenn du deine Lieblingsmusik auf VIVA siehst. Saddle Creek ist eben nicht mehr unser kleines spezielles Label, das nur wir kennen. Jetzt muss man die Musik eben mit allen teilen.

BR: Natürlich gönnt man euch und den anderen Saddle Creek Bands den Erfolg. Auch wenn es kindisch ist, ein klein wenig verliert eine Band leider auch an Attraktivität, wenn sie plötzlich jeder kennt.

Tim: Natürlich ist diese ganze Geschichte ziemlich paradox. Auf eine gewisse Weise fühle ich aber auch Genugtuung. Zu wissen, dass solch großartige Bands wie die Bright Eyes jetzt auch von großen Massen gehört werden, stimmt mich doch versöhnlich. Das ist doch immerhin besser, als wenn alle nur Linkin’ Park hören würden. Denk doch mal alleine an die Lyrics auf den neuen Bright Eyes Alben. Die sind enorm intelligent und regen die Gedanken des Hörers an. Wenn jetzt viele junge Leute auf diese Musik stoßen, dann ist das doch großartig. (lacht)

BR: Du verfasst deine Texte fast immer in einer Art Erzählstil. Wenn du über all diese Beziehungsprobleme schreibst, sind das dann deine persönlichen Erfahrungen aus dem richtigen Leben? Das ist zumindest der Eindruck, den ich gewonnen habe.

Tim Das ist gemischt. Manches ist schon sehr persönlich und sehr ehrlich. Andere Stellen wiederum sind fiktiv. Aber wenn meine Texte so glaubhaft klingen, dann ist das ein ziemlich großes Kompliment für mich. Denn es ist mein Ziel, dass meine Texte wirklich sehr glaubhaft klingen. Ich versuche dabei aber auch, unnötige Details auszulassen, denn ich will ja, dass die Texte auch für den Hörer in einer gewissen Form offen und verständlich sind.

BR: Hast du nicht den Eindruck, dich mit deinen persönlichen Gefühlen ein wenig zu stark entblößen, wenn du all deine Gefühle und Gedanken auf einer CD veröffentlichst, so dass sie jeder hören kann? Liegt es da nicht nahe, an manchen Stellen eben allgemeiner zu schreiben?

Tim: Nein, ich finde das ist die eigentliche Herausforderung bei den Songtexten. Ich versuche immer so ehrlich wie möglich zu sein und meine persönlichen Konflikte wirklich auszudrücken. Das ist natürlich schwer, gerade weil man sich ein Stück weit entblößt. Aber man muss es versuchen. Wenn einen etwas bedrückt, dann sollte man zumindest versuchen, es ehrlich auszudrücken.

BR: Was gefällt dir eigentlich am meisten daran, Musiker zu sein? Magst du es einfach, krativ zu sein und Dinge zu erschaffen? Oder gehst du lieber auf Tour, etwa um Leute zu treffen, die deine Musik mögen?

Tim: Am meisten gefällt mir wirklich die Tatsache, dass ich kreativ sein kann und Songs schreiben kann. Ich habe kein gesteigertes Interesse daran, live aufzutreten. Manchmal macht es mir natürlich schon Spaß. Ich habe da mittlerweile auch eine größere Routine entwickelt durch die vielen Konzerte, die wir gespielt haben. Hin und wieder ziehe ich selber etwas Positives aus unseren Konzerten. Aber zum Großteil spielt man die Konzerte eben für das Publikum. Ich tue es nicht so sehr für mich. Aber wenn die Leute etwas aus den Konzerten mitnehmen können, dann ist das auch gut. Ich persönlich mag es aber lieber, Alben aufzunehmen. Ich finde den Prozess, wie ein Album entsteht und die Herausforderungen, die so etwas mit sich bringt, einfach interessanter als Live-Auftritte.

BR: Wie geht es denn für dich weiter nach der Tour? Nimmst du eine Auszeit?

Tim: Ja, ich werde mir eine Auszeit nehmen. Aber in meinem Hinterkopf schwirren schon diverse neue Ideen für Cursive und The Good Life. So wird alles weiter seinen Weg gehen.

Dank an Melle für das Foto

Martin Baum15.02.2005

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