Interview

Maritime - Ein Abend mit Hindernissen

Maritime

Ein Abend mit Hindernissen

Im Frühjahr dieses Jahres veröffentlichte das kanadisch-amerikanische Trio Maritime in Deutschland auf Grand Hotel Van Cleef ihr Debüt „Glass Floor“ . Der eingängige Indie-Pop der sympathischen Band ließ die Herzen vieler Musikliebhaber höher schlagen. Im Spätsommer tourten Maritime erstmals hierzulande. Diese Gelegenheit durfte sich Bizarre Radio natürlich nicht entgehen lassen und daher waren wir für euch auf dem „Monsters of Spex“ Club-Festival im Heidelberger Karlstorbahnhof dabei, wo Maritime neben vier anderen Bands spielten. Für Maritime verlief dieser Tag leider etwas anders als geplant. Morgens bekam die Band die überraschende Nachricht, dass Sänger Davey Von Bohlen in Kürze Vater werde. Er eilte daraufhin natürlich sofort zum Flughafen, um zurück nach Kanada zu fliegen und möglicherweise bei der Geburt dabei sein zu können. Der Rest der Band blieb aber zum Glück in Heidelberg, um noch das letzte Konzert ihrer Tour zu spielen. Schlagzeuger Dan Didier - ein sehr sympathischer und aufgeweckter Zeitgenosse – stand uns Rede und Antwort.

BR: Hallo Dan. Ich habe gerade erfahren, dass Davey heute abreisen musste. Spielt ihr heute nur zu zweit?

Dan: Naja, nicht ganz. Wir sind ja eigentlich mit den Jungs von Snailhouse auf Tour, die uns ohnehin jeden Abend aushelfen. Dafür spielen wir normalerweise auch bei Snailhouse mit. Heute wird einer von den Jungs noch singen und ein anderer zusätzlich Gitarre spielen. Die üben schon fleißig. Das wird die Zuschauer bestimmt verwirren, zweimal die selbe Band unter unterschiedlichem Namen. Leider können wir heute Abend nur einen kurzen Set von ca. sechs Songs spielen.

BR: Oh, das wird schon klappen. Gefällt es dir eigentlich auf so einem Club-Festival wie heute mit einigen anderen Bands zu spielen oder hast du eure regulären Einzelkonzerte lieber?

Dan: Ach, ich mag es eigentlich beides. Ich finde es einerseits toll, wenn man ein Konzert für die eigenen Fans spielen kann. Dann weiß man, dass alle extra gekommen sind, um gerade uns spielen zu sehen. Aber es ist auch schön vor Leuten zu spielen, die vielleicht nicht auf eines unserer Einzelkonzerte gekommen wären. Denn vielleicht kommen diese Leute dann ja bei unserer nächsten Tour wieder vorbei. Generell macht es natürlich riesigen Spaß, Konzerte zu geben. Wir spielen einfach für jedermann.

BR: Kennst du dich mit der Geschichte der „Monsters Of Spex“-Fesitvals aus? Im Jahr 1991 spielten dort Nirvana, Sonic Youth und Dinosaur Jr. Das sind doch beste Voraussetzungen für euch, in Sachen Bekanntheitsgrad einen ähnlichen Stellenwert wie diese Bands zu erreichen, oder?

Dan: [pfeift vor Bewunderung – nicht ganz ohne Ironie]: Wirklich? Ich fühle mich geschmeichelt. Aber ich bezweifle, dass wir diesen Bekanntheitsgrad erreichen werden.

BR: Naja, warten wir es doch mal ab. Was noch nicht ist, kann ja noch werden. Ihr habt ja bevor Maritime gegründet wurde schon in anderen Bands gespielt. Du und Davey spielten bei The Promise Ring und euer Bassist Eric war bei The Dismemberment Plan. Denkst du, dass es für Maritime heute von Vorteil ist, bei diesen Bands gespielt zu haben?

Dan: Ja und Nein. Ich denke, dass die Fans von „The Promise Ring“ und „The Dismemberment Plan“ sich jetzt natürlich dafür interessieren, was wir jetzt mit Maritime machen. Das ist natürlich cool. Andererseits werden wir von den Fans auch daran gemessen, was wir früher gemacht haben. Sie sagen dann vielleicht: „Äh, die klingen ja gar nicht mehr so toll wie früher“. Dabei wollten wir mit Maritime einfach die Musik machen, die uns eben am Herzen lag. Es hat also seine Vor- und Nachteile.

BR: Wie habt ihr euren heutigen Bassisten Eric kennen gelernt? Wie kam es, dass er Mitglied bei Maritime wurde?

Dan: Wir kannten ihn, weil wir mit The Promise Ring und The Dismemberment Plan früher einige Konzerte zusammen gespielt haben. Wir haben uns immer super verstanden und konnten mit den Jungs prima abhängen und uns über Musik unterhalten. Als Davey und ich die Songs für „Glass Floor“ dann so weit geschrieben hatten, brauchten wir ja noch einen Bassisten. Dann hörten wir davon, dass The Dismemberment Plan vor der Auflösung standen. Wir haben Eric dann eine Mail geschickt und ihm geschrieben, was wir machen und ob er Interesse hätte, bei Maritime einzusteigen. Am Anfang baten wir ihn nur, sich die Demos anzuhören und ein bisschen Bass dazu zu spielen. Das hat sich dann so entwickelt, dass er schließlich auch bei den Aufnahmen zu „Glass Floor“ dabei war und schließlich Mitglied der Band wurde. Für unser aktuelles Album haben also in erster Linie Davey und ich die Songs geschrieben. Eric ist aber an unserem nächsten Album aktiver beteiligt.

BR: Schreibt ihr schon Songs für euer nächstes Album?

Dan: Ja, wir haben schon sieben Lieder geschrieben. Fünf davon können wir live spielen. Heute werden wir aber nur ein neues Stück spielen. Du weißt ja, Davey ist nicht mehr hier heute.

BR: Ich habe gehört, dass Eric sehr weit von euch entfernt wohnt. Wie funktioniert denn bei euch das Songwriting? Trefft ihr euch immer persönlich?

Dan: Ja, Eric wohnt in Washington DC. Davey und ich wohnen in Milwaukee. Das läuft alles über das Internet. Früher habe ich Eric noch Dateien auf CD-Rom geschickt und er schickte mir seine Bass-Parts auf CD-Rom zurück. Und so fügen wir die Ideen dann zusammen. Heute haben wir alle Highspeed-Internet Verbindungen. Wir senden die Dateien einfach hin und her. Vor und nach unseren Touren treffen wir uns aber meist persönlich und schreiben noch ein oder zwei Wochen gemeinsam in Milwaukee an den Songs.

BR: Schreibt ihr auch an euren Songs wenn ihr auf Tour seid?

Dan: Nein, nicht wirklich. Ich denke, es ist das Ideal vieler Bands, Songs zu schreiben während man auf Tour ist. Bei uns kommt es aber nie so richtig dazu. Man hat während einer Tour auch einfach so viel um die Ohren. Natürlich steht an jedem Tag unsere eigene Show im Vordergrund und häufig lernt man neue Bands und andere Leute kennen. Da hat man dann keine große Lust mehr, an neuen Songs zu arbeiten, weil man ohnehin den ganzen Tag mit Musik konfrontiert ist. Wir könnten natürlich auch auf Tour mit dem Laptop ein paar Songs aufnehmen, aber auf Tour fehlen uns einfach die Nerven für so etwas.

BR: Schreibt Davey eigentlich die Texte für Maritime?

Dan: Ja, wir haben Davey eine Art Freibrief für die Lyrics gegeben. Wenn Eric oder mir aber etwas an den Texten nicht gefällt dann mischen wir uns ein und führen gemeinsam eine kultivierte Diskussion darüber. Meistens klappt das aber ganz ohne Probleme, so dass Davey wirklich einen Großteil der Texte geschrieben hat.

BR: Mich würde besonders interessieren, was ihr mit dem Text und dem Video zu „Someone Has To Die“ meint. Da heißt es ja „someone has to die, to make room for you and I“ und im Video kriechen und fliegen Tiere und Insekten umher. Zwischendurch kann man sogar religiöse Figuren wie z.B. einen Bischof erkennen. Was wollt ihr mit dem Song und dem Video zum Ausdruck bringen? Hat das auch einen religiösen Hintergrund?

Dan: Oh, ich weiß gar nicht so genau, was in dem Video passiert. Die Idee von „Someone Has To Die“ war aber, dass das Leben auf der Erde so wie es jetzt existiert sterben muss, damit neues Leben die Erde bevölkern kann. Ein bisschen geht es also auch um die Evolution. Wir wollten einfach zeigen, dass in unserer Umwelt zu jeder Zeit Lebewesen sterben, damit neues Leben entstehen kann. Einen religiösen Hintergrund sehe ich darin aber nicht, besonders keine Anspielung auf das Thema Wiedergeburt. Aber natürlich sind unsere Texte ja auch offen, so dass jeder Hörer sie mit selbst für sich deuten kann.

BR: Ok, jetzt mal zu einem ganz anderen Thema. Wie seid ihr eigentlich mit eurem deutschen Label Grand Hotel Van Cleef in Kontakt gekommen?

Dan: Das lief über unseren Booking Agent. Als wir die Songs für „Glass Floor“ so weit fertiggestellt hatten, versuchten wir mit so vielen Leuten wie möglich Kontakt aufzunehmen, mit denen wir zu The Promise Ring Zeiten schon zusammengearbeitet haben. Wir versuchten Plattenverträge für „Glass Floor“ in Europa, Japan und Australien zu finden. Unser Booking Agent kannte die Leute von Grand Hotel Van Cleef wohl ganz gut und gab ihm unsere CD und bat sie, sich das doch mal anzuhören. Die haben uns dann gleich angerufen. Ich bin sehr froh darüber, dass wir dort gelandet sind, weil das Label in der deutschen Szene so weit ich weiß einen ziemlich großen Stellenwert hat. Am Anfang wussten wir natürlich noch nicht so viel über sie und dachten einfach: „Ach cool, ein deutsches Label will unsere CD rausbringen. Das ist doch großartig“.

BR: Heute ist der letzte Tag eurer Tour. Leider musstet ihr ja auch einige Shows in Großbritannien absagen. Wie fühlt ihr euch jetzt? Seid ihr müde? Wie sehen denn eure Pläne für die nächste Zeit aus?

Dan: Ja, wir sind schon ziemlich fertig jetzt. Wie Du ja weißt, wird Davey in diesen Minuten Vater. Wir werden jetzt erst mal den Herbst über eine Pause machen und höchstens ein paar Konzerte bei uns in der Umgebung spielen. Ich werde im November heiraten. Nächstes Jahr wollen wir dann unser neues Album fertig stellen und im Frühjahr auch wieder auf Tour gehen in den USA, Japan und Europa. Ganz besonders natürlich in Großbritannien, damit wir die ausgefallenen Termine nachholen können. Es ist schon schade, dass wir die Konzerte dort absagen mussten. Dafür wird es nächstes Jahr dort umso schöner.

BR: Ok, dann vielen Dank für das Interview. Ich hoffe, dass ihr heute Abend eine gute Show habt.

Dan: Danke, das werden wir ja sehen, wie die Show heute wird. Bitte wünsch uns Glück.

Großes Glück hatten Maritime an diesem Abend trotz aller guten Wünsche leider nicht. Doch zunächst der Reihe nach. Den Anfang machten Snailhouse, unterstützt von Dan und Eric von Maritime. Das ruhige Set geriet leider ein wenig zu kurz, aber die Band konnte mit intelligentem Songwriting und einem glasklaren Sound überzeugen. Darauf bot Jens Friebe seinen deutschen Schrammel-Pop dar. Bis auf einige wirklich lustige Textpassagen blieb davon leider eher wenig hängen. Der folgende Auftritt, von Girls In Hawaii, einer jungen sechsköpfigen Indie-Band aus Belgien, geriet hingegen grandios. Nahezu perfekt aufeinander eingespielt und untermalt von einer guten Lichtshow und Video-Projektionen rollte die Band einen intensiven Klangteppich aus. Das Publikum war spürbar begeistert. Die den Abend abschließenden Marr aus Hamburg konnte ich aufgrund ungünstiger Abfahrtszeiten des ÖPNV dann leider nicht mehr spielen sehen.

Zuvor aber waren ja noch Maritime an der Reihe, die ihren Set mit „James“ begannen. Der Sound wirkte leider etwas dumpf und auch die für Sänger Davey eingesprungenen Snailhouse-Mitglieder hatten es nicht gerade leicht. Snailhouse-Sänger Mike bemühte sich aber redlich, Daveys Gesangsparts von einem Notenständer abzulesen. Songs wie „Sleep Around“ und „Someone Has To Die“ sorgten dann aber doch noch für einen insgesamt einigermaßen gelungenen Auftritt. Als Gradmesser für die Livequalitäten der Band kann dieser außergewöhnliche Abend also ganz bestimmt nicht gesehen werden. Vielleicht ergibt sich ja kommendes Frühjahr mit neuem Album im Gepäck noch einmal die Gelegenheit, Maritime in Höchstform zu sehen.

Martin Baum25.09.2004

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