Cd-Besprechung
Leserwertung: 14.0 Punkte
Stimmenzahl: 1
Massachusetts ist nicht Kalifornien, und der Herkunftsstaat von Defeater wird daher wahrscheinlich Landschaften von eher trüber Natur bieten, als man in sonnigen Strandabschnitten finden kann. Vielleicht war das der Auslöser, der zu einem eher düsteren Album zur Ausgeburt führte, was einen auf die eine Art und Weise direkt dorthinein versetzt: in trübe und regnerische Stadtlandschaften, in denen man auf detaillierte Weise einen Mann verfolgt, der versucht mit Tapferkeit seinem armen Leben zu trotzen. So ähnlich scheint jedenfalls das Thema der CD zu sein.
Wenn man das Debutalbum „Travels“ des Fünf-mann-combos einlegt, hört man treibenden und gefühlsechten Hardcore a la Modern Life Is War. Es fühlt sich an wie ein weniger guter Tag in einem weniger guten Leben. Die Texte sind sehr emotional und pessimistisch, untermalt wird das Ganze von melodiösen, oft schnellem mal fröhlichen, mal doch recht düsteren Hardcores. Die texte handeln von Problemen, die in jeder Stadt alltäglich sind, Gewalt in Familien, Alkoholmißbrauch, Armut und der Versuch, zumindest den Stolz zu behalten. Was jetzt nicht heißen soll, daß es eine deprimierende Platte ist. Es ist vor allem eine sehr gute.
Auffallend ist die häufige Referenz zu Zügen, die in verschiedenen Bezügen über die Gleise rollen, und so paßt das doch auch gut, kann man sich sehr wohl vorstellen, daß die vier Jungs die Lieder in einem Güterwaggon geschrieben haben, der durch verregnete Wälder und über rostige Brücken rollt. Zumindest hat es wohl irgendwie dann zum Glück doch zu einer Menge guter Lieder geführt, und obwohl düster im Thema, bietet Defeater hier doch sehr hörbaren, und auch treibenden Hardcore.
Das Rad läßt sich nicht neu erfinden, jedoch kann man Bestehendes verbessern und neu kombinieren. Das Tempo der Lieder wechselt, viele hohe melodische Gitarrenkombinationen, untermalt von sehr gut dosiertem Getrommel werden mit hohen, leicht schreienden Gesang geprägt von einer Ecke Verzweiflung, untermalt. Zusätzlich zu den Mid-tempo parts gibt es auch wirklich ruhige Passagen, wenn auch wenige, aber die Platte hat eh den Weg des schnelleren Tempos eingeschlagen. Daher sollte man hier nicht zu viel übertriebene (und auch speziell für diese Kombination dann überkitschige) Sentimentalität erwarten. Die bewährte Kombination von düsterem Gesang und weniger düsterer Riffs kommt dann doch auch am glaubwürdigsten rüber.
Der erste Song „Blessed Burden“ gibt mal gleich gut Tempo vor, „Nameless Streets“ zeigt aber noch besser, wie man gut mit Atmosphäre, Melodien und charakteristischem Gesang spielen kann, um überzeugend, analog zum Text, auch instrumental eine fließende Geschichte zu erzählen. Phasenweise kommt das klassische Vier-chord-riff zum Einsatz, oft werden aber hohe Gitarren mit gut laufenden Rhythmusriffs kombiniert. „Prophet In Plain Clothes“ ist dann ein Lied, daß sehr gut im Mid-Tempo die Verzweiflung und Gefühle der beschriebenen Schicksale ausdrückt. Die Platte erinnert oft an Verse, und in diesem Lied hat Verse’s Sean Murphy (der diese Art von Gesang wie kein Anderer beherrscht) dann auch seine Gesangskünste beigesteuert. Der song hat am Ende noch einen schönen Akustikteil, zu dem man wieder in den Waggon hüpfen könnte und nun mit ein bißchen besserer Laune in den scheppernden Zug durch die regnerischen Wälder in den Himmel gucken könnte.
In der weiteren CD gibt es dann ein bißchen mehr melodischen Punk hier, so manche Pit-tauglichen schnellen Teile, und viele Tempowechsel zwischen schnell und mittelschnell. Das Album ist keine Revolution instrumental, dafür fehlen einfach die Abwechslungen in den Riffs, Rhythmen und Gesang. Das letzte Lied, „Cowardice“ spielt dann aber doch sehr gekonnt mit der Emotionalität die sich durch das ganze Album zieht. Ein sehr gutes langsames Lied, mit vielleicht den meisten verzweifelten Gefühlen der ganzen Platte, facettenreich, drückend und düster, und sehr gut. Hier wird eindrucksvoll mit Tempo, Kontrast von Melodien und der Ausdruckstärke des Gesangs gespielt. Vielleicht das Stück, das die Ausstrahlung dieser Platte am besten beschreibt.
Wer nach Sing-alongs und Shout-parts sucht, sucht vergebens, das machen andere schon zu genüge. Wovon es ruhig mehr geben kann ist die Art und Weise, wie Defeater den Gesang und die Musik nicht nur durch die Töne verbindet sondern auch dadurch, daß beides eine Geschichte erzählt. Die dunklen Liedtexte, weichen sie doch vom klassischen Vers/Refrain Prinzip ab, geben je einen detaillierten Einblick in eine Geschichte, die erzählt werden will. Die Kraft hat. Und zusammen mit der Musik eine sehr gute Sache ist. Gut der, der diese Texte hat, weil nur so das Ganze in der Intensität zu genießen ist, wie es das verdient hat.
Das diese Band Zukunft hat und auch von dem, was Have Heart, Verse und ähnliche Grössen in den letzen Jahren an Weg bereitet haben zehren kann, bestätigt sich auch in den Personen, die schon zu diesem Debut beigesteuert haben: wurden der Baß- und Gitarrensound von God City’s Converge-mastermind Kurt Ballou noch mal fein abgestimmt, zusätzlich hat auch The Carrier’s Anthony Traniello, der durchaus Seelenpartnerpotential zu Defeater’s Sänger Derek Archambault hat, ein paar Linien Text gesungen.
Bridge 9 hat einen Riecher für gute Bands, ist diese Version des Albums ein internationales Re-release des Debuts erstmalig erschienen auf Topshelf Records. Dieser Wechsel wird Defeater sicher sehr gut tun in Sachen Support. Düsteres Album, gutes Debut. Sicher am besten in diesen grauen Wintertagen zu genießen.
Abschließend, Schlagzeuger Andy Reitz ist sehr stark im Projekt „Greenvans“ involviert, durch das primär andere Bands Lieferwagen mieten können, die mit Frittenfett laufen. Auch wurde das CD booklet aus 100% recyceltem Papier gefertigt. Kleine Sachen, die vielleicht keinen Regenwald retten, aber ich glaub’s den Jungs, dass da mehr sein kann, zu der Musik.
13 Punkte (von max. 15)
stephan meyer, 13.02.2009
TRACKLIST
1. Blessed Burden
2. Everything Went Quiet
3. Nameless Streets***
4. Forgiver Forgetter
5. The City By Dawn
6. Prophet In Plain Clothes***
7. Carrying Weight
8. Moon Shine
9. The Blues
10. Debts
11. Cowardice***
[ *** Anspieltipps ]
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