Cd-Besprechung
Leserwertung: 11.5 Punkte
Stimmenzahl: 2
„It's not rocket science“ heißt es im Englischen, übersetzt soviel wie: das ist nicht so kompliziert.
Sieht man mal von den Verschwörungstheorien ab, die sich durch das neue Songmaterial hindurch ziehen, handelt es sich bei „Rocket Science“ tatsächlich um eine recht leicht verdauliche Mischung aus Elektro und Pop-Musik. Mal heftiger, mal sanfter reitet Stephan Groth im Raumanzug seine Rakete durchs All, und erinnert immer wieder daran, dass man „Den Anderen“ nicht vertrauen sollte.
“Wenn ich die Zeit, die ich für das “Studium” der Musik verbracht habe und dafür, mit der Band Apoptygma zu arbeiten, für das Studium der Mathematik oder der Ingenieurwissenschaften aufgewendet hätte, dann wäre ich wohl jetzt schon ein renommierter Raketenwissenschaftler”
“Rocket Science“ ist übrigens, wenn man mitzählen möchte, bereits das sechste Studioalbum. Dass die Legende der Band Apoptygma Berzerk jetzt schon so lange anhält, und das in einer Musikszene die zunehmend launen- und wechselhafter wird, ist ein weiterer Beweis für Groths einzigartige Entschlusskraft und Zielsicherheit, und der relativ abgelegene Ort, an dem er seine Zelte aufgeschlagen hat, scheint sich in diesem Zusammenhang tatsächlich sehr günstig auszuwirken. Unabhängig davon, ist es jedoch auch ihm schnell klar geworden, dass die Herausforderung und auch das Risiko bei jedem neuen Album, das er herausbringt, immer größer wird. Eine Methode, gegen diesen Prozess anzusteuern, besteht darin, den Soundmix durch neue Rhythmen und frisches Blut aufzustocken, wie er es beispielsweise im Falle von „Rocket Science“ getan hat. So tritt zum Beispiel Benjii Madden von Good Charlotte als Gastsänger bei „Apollo“ und „Weight Of The World“ auf und Emil Nikolaisen von der befreundeten norwegischen Rockgruppe Serena Maneesh leistete ebenfalls verschiedene Beiträge zu „Rocket Science“.
Heute ist der spezielle Apop-Sound, der durch Groths hervorragende Leistungen als Sänger vermittelt wird, sofort zu erkennen und ließe sich keinesfalls auf Summe der einzelnen Anteile zu reduzieren. Diejenigen, die davon besessen sind, zwanghaft Genre-Kategorien zu finden, würden diese Musikstil in die Schublade des „Synthpop“ einordnen, aber diese Klassifizierung wird der Gruppe nicht gerecht, hat sie doch eine Anziehungskraft, die weit über die Grenzen der elektronischen und auch der Rockmusik hinausgeht.
Was können wir uns also nun von “Rocket Science“ erwarten?
“Einerseits besteht unsere Strategie darin, dort weiterzumachen, wo wir mit der letzten Scheibe “You and Me Against the World” aufgehört hatten, die ja stärker durch rockige Einflüsse geprägt war. Aber auf der anderen Seite wollten wir auch einen Schritt zurück gehen in Richtung elektronische Sounds, was ja die Musikrichtung aus der wir eigentlich kommen. Und dann scheint es wieder so, dass der Ansatz sich doch mehr nach Rock anfühlt und wahrscheinlich wird sich dies als das rockigste Album herausstellen, das wir je gemacht haben. Es wird also ein Album sein, das sowohl unsere treuen langjährigen Fans als auch unsere neuen Fans ansprechen wird.“
Wie immer bei Apop, ist es auch diesmal bei dem neuen Album so, dass es mehr zu Hören gibt, als man auf den ersten Blick wahrnimmt und wenn man sich mit dem Inhalt der Songtexte des Albums beschäftigt, gibt es ein Thema, dass sich durchzieht und in den einzelnen Tracks immer wieder auftaucht – ein durchdringender Weckruf, der unsere Gehirne aus ihrem Schlaf aufwecken soll:
“Pleased to meet you, we came to drop bombs on you.“ Kein Zweifel, dieses explosive Album gibt sich nicht mit plätschernder Passivität zufrieden! Der erste Song “Weight of the World“ konfrontiert uns mit der Behauptung, dass wir schon zu lange damit gewartet haben, den Schleier zu lüften und so „den Anderen“ erlaubt haben, unser Schicksal zu lenken und gipfelt in der Aussage: “1984 is now!“, womit die von George Orwell in seinem Roman 1984 beschriebene Zukunftsvision eines totalitären Überwachungsstaates aufgegriffen wird. “So no one told you, they’ve been lying to us all along – they thought control us“. Seine Romanfigur Winston Smith wagte es die Frage „warum?“ zu stellen.
Groth selbst sagt, dass er „geschockt“ war, als er feststellte wie sehr „das System ihn durch die Schuljahre hindurch belogen hatte“. Die Kultur der Nicht-Information endet jedoch nicht schon hier: „Mir wurde klar, dass viele der so genannten „Verschwörungstheorien“ eigentlich Fakt und nicht nur Theorien sind.“
“Asleep or Awake“ weist darauf hin, dass die Fähigkeit der Menschen zur Kritik und zur kritischen Wahrnehmung langsam schwindet: “they dumbed us down and slowly changed our thoughts - now we believe in nothing but never-ending wars“.
Kennzeichnend für dieses Album sind die vielen verschiedenen Stimmen, die eingespielt werden und dann wieder verblassen, was mit einer Intensität geschieht, die uns hellhörig werden lässt und uns zur besseren Wahrnehmung der moderne Gesellschaft und ihrer Machtstrukturen, von denen sie getragen ist, anstößt. Eine dieser Stimmen, ist die des Enthüllungsjournalisten Chris White, der eine Verschwörungstheorie [Nowhere-To-Run/Conspiracy Clothes-Theorie] vertrat, die für viel Lärm gesorgt hat, und der die Folgen der Ereignisse vom 11. September zu erforschen und aufzuklären versuchte.
Es ist eine große Herausforderung an eine Rockbdand, den Anspruch an sie zu haben, dass sie dazu beitragen soll, die Machenschaften der Welt, in der wir leben, aufzudecken. Sätze wie “You poked out your eye and then you rose to fame“ deuten einerseits rücksichtsloses Erfolgsstreben und anderseits auch die Selbstaufopferung an. Um den großen Kontext in Frage zu stellen, ist es hilfreich, sich die Stellen anzusehen, an denen verschiedene Weltsichten aufeinander treffen – dort, wo der Rauch auf seinen Spiegel trifft. Groth stellt die Frage, welche Absicht wohl hinter Verschwörungstheorien steht und welches ihr Nutzen ist, angesichts dessen, dass man durchaus feststellen kann, dass diese in manchen Fällen doch wohl eher Tatsachen als Theorien sind.
„Auch wenn wir mit Lichtgeschwindigkeit davonrennen, wird uns das nicht in Sicherheit bringen“ was sich im Originaltext (“Black versus white“) so anhört: “Running away at the speed of light won’t keep us safe“.
Fazit:
Etwas verworrener und weniger glatt als der Vorgänger "You and Me against the World", dennoch, oder gerade deshalb, durchaus lohnenswert!
12 Punkte (von max. 15)
Conny König, 23.01.2009
TRACKLIST
1. Weight of the world Reinhören
2. Apollo (live on your TV)***
3. Asleep or awake?***
4. Incompatible
5. United States of credit
6. Shadow
7. Green queen***
8. Butterfly defect
9. The State of your heart (shit end of the deal)
10. Rocket calculator
11. Right
12. Pitchblack / heat death
13. Black vs. white
14. Trash
[ *** Anspieltipps ]
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