Cd-Besprechung

Annett Louisan

Bohème

105 Music / Sony
  Vö: 25.10.2004

Bewertung:  2 Punkte
Leserwertung:  3.5 Punkte
Stimmenzahl: 13

„Ich will doch nur spielen / ich tu doch nichts“ tönt es eindringlich unter der Bettdecke hervor. In den letzten Monaten war es dank der massiven TV- und Radiopräsenz von Annett Louisans Single „Das Spiel“ kaum möglich, diesem Song auszuweichen. Nun folgt das ganze Spiel auf Albumlänge. Bezüglich der in diesem Falle vermehrt auftretenden Risiken und Nebenwirkungen bitte weiterlesen.

Laut Infotext vertont die 25-jährige Kunststudentin (nebenberuflich auch „niedliche Amazone“) auf „Bohème“ ihre Sicht der Männerwelt. Ja sie tanzt den Herren schon förmlich auf der Nase herum und dreht damit das ganze „Liebes-Rollenspiel“ auf den Kopf. Heftigen Testosteronalarm soll das auslösen und ihre größte Stärke sei natürlich, dass sie andauernd unterschätzt werde. Das klingt irgendwie nach einer Marketing-Masche. Dabei geht das Album musikalisch absolut in Ordnung. Die ruhige und sanfte Begleitmusik mit Elementen aus Bar-Blues und Jazz, in die sich auch die Stimme Louisans gut einfügt, ist für sich genommen von guter Qualität. Doch scheint es in diesem Falle leider unmöglich, bei der Bewertung der Musik von den gesungenen Inhalten zu abstrahieren.

Etwa die Hälfte der Songs drehen sich um reine Belanglosigkeiten, die Louisan auch textlich in einer dem Thema angemessenen Schlichtheit umzusetzen weiß. In Hinblick auf Stücke wie „Das Gefühl“ oder „Die Lüge“ ließe sich dieses Album also noch wohlwollend unter dem Stichwort „gepflegte Langeweile“ verbuchen. Wären da nur nicht die zahlreichen Tiefschläge, die in den schlimmeren Momenten ernsthafte Übelkeit beim Hörer auslösen. So etwa, wenn Louisan sich in metaphorischer Einkleidung leise hauchend als eine die Männerwelt beherrschende, nicht dressierbare Katze zeichnet. Im Refrain klingt das dann so: „Nein, sie wird dir nie gehör’n / doch du streichelst sie so gern / das weiß sie ganz genau / miau“. Dem steht auch das Stück „Die Dinge“ an Albernheit nicht nach. „Ich brauche sehr viel Nähe / und die möglichst komplett / mit dir kann man gut reden / aber er ist gut im Bett“.

Dabei muss man Annett Louisan eigentlich noch zugute halten, dass derlei Mumpitz nicht von ihr persönlich stammt. Die Texte formulierte Frank Ramond (beachte: ein Mann), was der Glaubwürdigkeit der hier thematisierten Frauenbelange natürlich den Todesstoß versetzt. Aber die Urheberschaft Ramonds tue eigentlich nichts zur Sache – so will uns das Infoschreiben der Plattenfirma glauben machen. Große Teile des Inhalts seien Annetts ureigene Erfahrungen, alles andere „aus Jahrhunderten überliefertes Frauenwissen“. Aha! Weitere Kostprobe von diesem antiken Frauengewissen gefällig? „Jede Faser blaues Blut / Gesten wie aus Hollywood / ein Blick wie Seide weich und markant / ich wär’ dir bis zum Nordpol nachgerannt“ (aus: „Der Schöne“). Reim- und Geschmacksterrorismus wie ihn diese Zeilen ausstrahlen, sucht man ansonsten in der gesamten Musikbranche vergebens.

Der ärgerlichste Aspekt dieses Albums ist daher der Versuch mittels einer Überakzentuierung von Louisans ohnehin schon aufdringlichem Lolita-Gehabe und ihrer inszenierten Laszivität Marktanteile zu realisieren. Dass man damit wohl vornehmlich schwitzende und bierbäuchige Unterhemdenträger auf dem heimischen Sofa anspricht, liegt auf der Hand. Ob das wohl im Sinne der Sängerin ist? Der heftige Testosteronalarm bleibt also aus. Jetzt warte ich ungeduldig auf den Vorwurf, ich hätte ein Problem mit starken Frauen. Schwer gefehlt. Ich habe allein ein Problem mit allzu offensichtlichen Vermarktungsstrategien und lyrischem Sondermüll.

2 Punkte (von max. 15)

Martin Baum16.01.2005

TRACKLIST
1. Das Spiel
2. Die Lüge ***
3. Die Dinge
4. Das Gefühl
5. Daddy
6. Die Katze
7. Der Schöne
8. Die Gelegenheit
9. Der Blender
10. Die Trägheit
11. Die Formel
12. Das Liebeslied ***
13. Das Spiel (Radiomix)
[ *** Anspieltipps ]

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