Cd-Besprechung
Leserwertung: 11.0 Punkte
Stimmenzahl: 1
Alle mal die Fresse halten! Schnelllebige Zeiten verlangen nach beschaulichen und ruhigen Alben. Beschauliche und ruhige Alben verlangen nach manierlichen und disziplinierten Zuhörern. Kurz: hier geht es um ernste Geschichten und wer nicht in der Lage ist, die nötige Geistesanspannung aufzubringen, um hier konzentriert zu lauschen, dem kann Aimee Mann auch nicht helfen.
Dass Aimee Mann schon lange einen Hang zum Erzählen hat, gehört zu den eher offenen Geheimnissen der Musikbranche. So waren die Texte früherer Alben stets literarische Miniaturen. Ja, und wenn man mit dem Schreiben erst mal anfängt, dann liegt die Expansion doch nahe. Mit dem Lauf der Zeit werden aus Miniaturen zunächst Bücher, dann Kompendien und schließlich ganze Bibliotheken. Womit lässt sich dies musikalisch umsetzen? Ganz recht: mit einem Konzeptalbum. „The Forgotten Arm”
“The Forgotten Arm” - ein Begriff aus der Boxwelt. „Wenn du deinen Gegner in die Seile gezwungen hast und ihn mit deiner Linken bearbeitest, während die Rechte inaktiv ist, so dass der Gegner für einen Moment nicht auf sie achtet, kannst du einen plötzlichen rechten Aufwärtshaken setzen und den Gegner ausknocken. Der entscheidende Schlag ist immer der, den du nicht kommen siehst“, so erklärt die neuerdings selbst boxende Sängerin den Albumtitel. Das klingt auffallend untypisch für die sonst so friedfertige Sängerin, die einst den wundervollen Soundtrack zu Magnolia einspielte. Wo also liegt der „missing link“ zum Konzeptalbum? „The Forgotten Arm“ erzählt die Geschichte der Liebe (und des Niedergangs) von Caroline und John, einem Boxer, der nach Vietnam geschickt wird und als Drogenabhängiger zurückkehrt. Abhängigkeit auf menschlicher wie physischer Ebene. Unerwartete Niederschläge. Die Dinge passen wieder ins Bild und ganz hervorragend zu Aimee Manns melancholischen Songs. Trügerische Wärme und Harmonie, die stets einen bittersüßen Beigeschmack trägt.
Musikalisch bleibt Aimee Mann sich dabei weitgehend treu, fügt denn allenfalls eine kleine Schippe klassischen „Rock & Roll“ hinzu. „Dear John“, „Going Through The Motions“ oder „Little Bombs“ reihen sich weit oben in Aimee Manns Qualitäts-Hitliste ein. Wieder fühlt sich der Hörer von den Melodien am Nacken gegriffen und durchlebt die Emotion wie am eigenen Leib. Dass „The Forgotten Arm“ dennoch eine zwiespältige Angelegenheit bleibt, liegt vornehmlich am den leider recht häufigen elegischen Momenten, die der Spannung gerade bei einem Konzeptalbum nicht zuträglich sind. So schade es ist, selbst bei einem Konzeptalbum wie diesem erfordert reuloser Genuss leider den vereinzelten Einsatz der Skip-Taste. Wer allerdings diesen Frevel zu begehen bereit ist, wird entlohnt mit Melancholie der Güteklasse 1. So, und jetzt darf der Leser auch den Mund wieder öffnen.
9 Punkte (von max. 15)
Martin Baum, 01.05.2005
TRACKLIST
1. Dear John
2. King Of The Jailhouse
3. Goodbye Caroline
4. Going Through The Motions
5. I Can't Get My Head Around It
6. She Really Wants You
7. Video
8. Little Bombs
9. That's How I Knew This Story Would Break My Heart
10. I Can't Help You Anymore
11. Clean Up For Christmas
12. Beautiful
[ *** Anspieltipps ]
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