Special

Stoned from the Underground

Heavy Metal, Bier und nackte Tatsachen – die Stonergemeinde traf sich in Erfurt

Im malerischen Naherholungsgebiet Alperstedter See im Norden Erfurts lockte am Wochenende das Stoned from the Underground über 2000 Gäste an. Wie sich zeigte hatte der Veranstalter nicht mit derartigem Andrang gerechnet. Deshalb gleich zu Beginn die Ansage: „Rückt auf dem Zeltplatz etwas zusammen!“ Da die Stonerrock-Szene in Deutschland sowieso überschaubar in ihrer Nische hockt, sollte das mit dem Zusammenrücken nicht allzu schwierig werden. Man kennt sich! Und man teilt Bier und Jenseits-Zeppelin sehr gerne. Friede, Freude, Stonerrock. Ja, man möchte meinen, der Autor dieses Textes hätte in dem Festival ein neues Hippie-Paradies gefunden. Mit Abstrichen kann das schon mal bestätigt werden. WORD!

Donnerstag begann die Harmonie-Sause mit freiem Eintritt und sozusagen einer Pre-Festival-Party, die ich leider verpasste. Allen Nachfragen nach zu urteilen, ging es dort aber schon mächtig ab mit den Flying Eyes und den Cyborgs.
Freitag dann Anreise-Tag. Stau, Stau und nochmals Stau sorgten für eine verspätete Ankunft und erste Anzeichen einer Verstimmung. Zum Glück war das Wetter noch einigermaßen auf der Seite der Feierwilligen. Als dann das Zelt stand, die Band der Stunde Kadaver schon wieder auf dem Weg zum nächsten Gig war, alle Stoner-Jünger schon mächtig bei der Sache waren, schaffte ich es zum ersten Mal zur großen Bühne. Immerhin pünktlich zum ersten Headliner. Etwas irritierend sollten die Tarantino-Mexicana-Rocker von Tito & Tarantula für Highlights im Stoner-Land sorgen. Tito betrat stilecht mit Kopftuch, Sonnenbrille und schwarzem Hemd die Bühne. Dann legte die Band los und siehe da: Überraschung! Tito gibt 2012 den Billy Gibbons mit weiblicher Verstärkung an Bass und Gitarre. Das macht was her und rockt tatsächlich mehr als die 1000ste Version von „After Dark“. Spiel uns den Mexiko-Blues (sprich Mechiiiiko-Bluuhhhss)!
Am Ende entledigte sich Tito seiner Kopfbedeckung und offenbarte eine auffallende Ähnlichkeit mit Cheech, dem alten Kiffer! So hätten wir den Bogen auch schon wieder. Dann die Aufforderung ans Publikum: „Common up on stage! Does anyone play guitar?“ Auf der proppevollen Bühne durfte dann jeder mal zu „After Dark“ ein Solo spielen. Am besten gefiel mir der Punker, der offensichtlich einen seiner selbstkomponierten „Fickt Deutschland“-Songs auf Titos Gitarre schrammelte, wohlgemerkt in falscher Tonart und Rhythmik. Sei es drum, Tito verbreitete gute Laune und die Backing Band war sehr schön anzusehen.
Nach diesem Auftritt wollte wohl keiner mit der Doom-Legende St.Vitus tauschen. Als wenn Ali gerade Frazier besiegt hätte und danach noch Axel Schulz boxen würde.....gähn! Allerdings hatte ich Wino und Kollegen unterschätzt. Die alten Männer mähten vom ersten Ton alles nieder was sich noch bewegte. Druckvoller Sound, rasslende Trommelfelle und ein Dave Chandler, der an der Gitarre den Zeremonienmeister gab. Vom Feinsten.
Ein Resümee des Festivals stand jetzt schon fest: Die alten Männer können es noch. Headliner waren ausschließlich Bands deren Mitglieder ihre Enkel mit ins Publikum hätten stellen können. Sie wären nicht aufgefallen. St. Vitus waren eine dieser Bands. So war es auch kein Wunder, dass es gegen Ende des zermürbenden Sets anfing wie aus Kübeln zu regnen. Der Untergrund verwandelte sich sofort in eine schwarze Matschepampe, die Miene der Bulli-Fahrer verdunkelte sich bei dem Gedanken an den Abreise-Sonntag.
Den Freitag beendete dann Beehoover auf der Zeltbühne. Allerdings platzte das Zelt aus allen Nähten, da sich der Regen als hartnäckiger Zeitgenosse herausstellte. So konnte ich nichts sehen und nichts hören und zog es vor mit einer kalten Hopfenschorle im Auto Platz zu nehmen. Die Nacht endete später mit Kulturen-Clash am Badesee: Als sich der Regen verzogen hatte und die letzten Standhaften dem Morgengrauen trotzten, sprang eine Gruppe in den See. Nur einer mit Badehose. Und das im Osten, heilig FKK-Land (EFFI!). Doch kein Wessi schämte sich da seines besten Stückes, ein Ami, augenscheinlich aus dem näheren Umfeld der Flying Eyes, bemerkte alsbald seinen Fauxpas. „I thought you all leave your pants on!“. In seine Klamotten schaffte er es dann nicht mehr und fiel nicht viel später nackt und nass in sein Zelt. Zeit ins Bett zu gehen.

Über den Zeltplatz zieht ein beißender, schwer fauliger Gestank. Der Samstag beginnt mit der Leerung der Dixies. Na danke! An Frühstück war dann erst mal nicht mehr zu denken. Die erste musikalische Offebarung dann um 17 Uhr: Rotor. Die Berliner schaffen es seit Jahren Stoner zu sein, aber nicht wie Stoner zu klingen. Ihr Instrumentalsound ist wendig, flink, erdig, intelligent und einfach schön anzuschauen. Es gibt keine Band, der man beim Spielen so gerne zuguckt wie Rotor. Da ist keine Pose einstudiert, kein Riff geklaut und kein Klischee zum 1001 mal abgearbeitet. Klasse Gig, der vom sehr früh und sehr zahlreich erschienenen Publikum belohnt wird. Applaus, Applaus!
Danach musste ich erst mal durchatmen. Eine Band ausgelassen, um dann pünktlich der Show der wohl programmatischsten Band des Festivals lauschen. Weedeater lieferten eine Wahnsinnsshow ab. Der Name ist übrigens Programm, die Sache kann aber im Falle häufigen Verzehrs zu Magenproblemen führen. Ich empfehle, ganz nebenbei, den Konsum via Lunge. Jedenfalls ragte besonders der Basser mit seiner hippeligen, leicht an Nick Olivieri erinnernden Tanzstil für Stimmung. Der Schlagzeuger könnte mit jedem Alpha-Orang-Utan eine unheilvolle Allianz eingehen, nicht nur vom Aussehen. Affengeil!
Gefreut hatte ich mich im Vorfeld auf Crowbar. Sie sind einfach Götter, das kann man einfach nicht anderes sagen. Der Gig enttäuschte dann aber etwas. Der Soundtechniker hatte scheinbar vergessen welcher der Lautstärke-Regler war. Erst zum Ende des Konzertes erreichte die Laustärke Dimensionen in denen Crowbar deine Hörmuschel grillen. Zugegeben, Crowbar mag nicht die lebensbejahenste Band sein, aber sie hat Seele. Kirk Windstein, Gründer und tonnenschweres Aushängeschild der Band hatte sichtlich Spaß und versprach alsbald noch mehr verfickte Riffs über unsere verfickten Kopfe zu schicken. Hell yeah! Leider fehlte der letzte Wumms und die absolute Spielfreude auf der Bühne. Schade, aber trotzdem ein wenig göttlich.
Nachdem die heimlichen Headliner das Feld räumten, wurde es finster in Erfurt. Plötzlich stürmte eine Riese auf die Bühne, der wohl zu viel Ritalin genommen hatte. Wie ein Irrer rannte er immer wieder an den Bühnenrand und ballte die Fäuste über seinem Kopf. „We are here for one...äh...two reasons: Heavy Metal and Beer“. Ok, dann wissen wir ja Bescheid. Orange Goblin aus England lieferten mit ihrem Golem-Sänger eine gute Show, aber waren auch der Beweis wie viel Redundanz Stonerrock oft bietet. Langweile inklusive.
Umso besser, dass sich Neume aus Berlin eines anderen Stil besinnen. Im wieder mal knackevollen Zelt begannen sie die Aftershow. Gitarre und Drums, eine sehr angesagte Duo-Instrumentierung. Noisiger Grunge-Math-Rock würd ich´s mal vorsichtig nennen. Gute Show, lustige Ansagen! So könnte es weitergehen. Doch dann der großen Schrecken. Pyuss, eine Kyuss-Coverband? Also bitte, an Kyuss-Coverbands spielen doch jedes Jahr ne Handvoll auf dem Festival und jetzt das!? Ich mache mich aus dem Staub...äh...Matsch. Tschau ihr Hippies bis zum nächsten Jahr.

Foto: Robert Berlin

frank fischmann17.07.2012

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