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Treffen der hoffnungslosen Idealisten - Ein Erlebnis-Bericht zur Leipziger (Pop Up Messe

Treffen der hoffnungslosen Idealisten

Ein Erlebnis-Bericht zur Leipziger (Pop Up Messe

Die Musikmesse (Pop Up beginnt für mich am Donnerstag mit einem verpassten Konzert. Als ich an der „nato“ in der Leipziger Südvorstadt ankomme, baut die finnische Neu-Entdeckung Rubik gerade ab. Einsam stehe ich im hell erleuchteten Konzertsaal und frage mich, ob dies ein schlechtes Omen ist. Ein Sinnbild der momentanen Situation: Die Band bauen ab, teils aus Verzweiflung am müden Markt oder einfachem Überdruss. Schnell verdränge ich solch restriktive Gedanken, stürze mich ins überschaubare Leipziger Nachtleben, morgen kann es nur besser werden.
Und Tatsache: Für den Freitag hat sich der großartige amerikanische Barde Scott Matthew angekündigt. Der dickste Fisch im (Pop Up Booking-Becken. Der Volkspalast auf dem ehemaligen Messegelände, das seit der Wende arg vernachlässigt wurde, beherbergt diesmal die Veranstaltung, deshalb das diesjährige Motto: „Zurück zum Beton“. Ein prachtvoller Kuppelbau mit Theater-Flair. Leider hat sich eine Diskothek die letzten Jahre dem alten Gemäuer angenommen. Die Atmosphäre zwischen Großraum-Disko und SED-Parteitag. Scott Matthew ignoriert das Ambiente und den miesen Sound: „It´s good to be back here in Leipzig. Where all the people are extremely good looking!”. Alles richtig gemacht, Herr Matthew. Auch musikalisch überzeugt er mit seiner Band. Irgendwo zwischen Nick Cave und Anthony & The Johnsons macht er es sich gemütlich, spielt mit Überzeugung seine Ukulele begleitet von Cello, Piano und Bass. Die recht spärliche Zuschauerzahl dankt es ihm mit frenetischem Applaus. Scott lässt sich zu drei Zugaben hinreißen, die aus Coversongs (The Smiths, Neil Young und Kris Kristofferson!!!) und einem gewünschten Song, den die Band tapfer ohne geprobt zu haben durchzog. Bravo! Ein gelungener Auftakt. Einzig die wenigen Besucher ließen Fragen offen. Liegt der Volkspalast, trotz Shuttle-Bus, zu weit von der Innenstadt entfernt? Schreckte der überhöhte Abendkassen-Preis von 20(!) € ab? Oder fehlte schlicht das Interesse? Matthias Puppe von der (Pop Up macht die neue Raumsituation dafür verantwortlich: „Der Volkspalast ist dem Leipziger Publikum noch nicht als Veranstaltungsort bekannt. Viele müssen sich erst daran gewöhnen.“ Jene die sich nicht abschrecken lassen hatten, erlebten ein super Konzert.
Die Aftershow-Partys finden traditionell in der Ilse Erika statt. Die Elektroveranstaltung zeichnete sich aber eher durch leere Gänge und einem wieder einmal zu hohen Preis aus. Im Absturz, zentral an der Karl-Liebknecht-Straße, dem alternativen Puls der Stadt, gelegen brennt hingegen die Luft. Nach 12 kommt keiner mehr rein. Leipzig feiert sich selbst. Viele lokale Bands und DJs wie etwa „I´m not a Band“ oder „Sergant Klang DJ“ spielten zum Tanze auf. „Die Veranstaltungen mit Leipziger Bands wurden alle sehr gut angenommen“, weiß Mitveranstalter Matthias Puppe. Leider konnte ich mich nicht zerteilen und verpasste das rege Treiben.
Samstagnachmittags mache ich mich auf den Weg zum Volkspalast. Die Messe steht an. Der große Saal dient dem (Pop Up Sofa, dem Diskussions-Forum der Messe. Thorsten Nagelschmidt, besser bekannt als Frontmann der Münsteraner Muff Potter, sinniert über die Verschmelzung von Musik und Literatur. Selbst der prominente Name schafft es nicht die Halle zu füllen. Aber alle, die das sind lauschen gespannt dem Diskurs. Ich schlage mich weiter Richtung Messe vor. Rund 100 Labels, Agenturen, Magazine und andere Vertreter der Indie-Szene präsentieren sich den Besuchern. Eine sympathische Laid-Back-Stimmung liegt im Raum und man kommt schnell ins Gespräch. Angenehm ist aber die Art und Weise. Sicher will sich jeder hier so gut wie möglich verkaufen. Doch nichts wird einem hier aufgedrängt. Es sind Gespräche zwischen Liebhabern, die sich Tipps geben. Als würde mein Kumpel sagen:„Mensch die neue XY, die is super. Hör mal rein“. So lasse ich mich über Bands aus Österreich, Siebdruck, Netlabels und Vinylpressung informieren. Für die Strecke von eigentlich zehn Minuten benötige ich über zwei Stunden. An jedem Stand bleibt man kleben, obwohl die Auswahl manchmal recht skurril und schwer nachvollziehbar ist. Im Großen und Ganzen präsentieren sich hier die letzten Idealisten der Indie-Szene. Nicht ein Gesprächspartner lebt von der Musik oder der Verwertung dieser. Mario von Kumpel&Friends Records kann davon ein Lied singen: „Von meinem normalen Job bin ich erst spät zu Hause und dann mach ich noch alles rund ums Label.“ Traurig ist dieser momentane Zustand der Independent-Szene. Dennoch ist es schön mit anzusehen, mit wie viel Kraft und Leidenschaft einzelne Menschen, die Szene am Leben erhalten. Denn obwohl alle jammern, machen sie es trotzdem. Und das ist gut so! Man wünscht sich in einigen Bereichen der Wirtschaft solch Aufopferungsbereitschaft, ohne immer nur an den persönlichen Gewinn zu denken. Dann müssten wir uns nicht ständig mit so inflationär gebrauchten Wörtern wie „Finanzkrise“ rumärgern.
Kurz bevor mich ein dumpfes Magenknurren zwingt die Messe zu verlassen, schaue ich noch ein letztes Mal zum (Pop Up Sofa. Und siehe da: es hat sich gefüllt. Frank Spilker (Die Sterne) diskutiert mit anderen Gesprächspartnern über die Verbindung von Musik und Werbung. Ganz interessant, bedenkt man die Rolle seiner Band Die Sterne als Teilnehmer an der ominösen „Rockliga“ eines Kräuterlikör-Herstellers. Das Ende der Diskussion konnte ich leider nicht mehr mit erleben. Mein Magen brüllte….
Am Abend stürzte ich mich noch einmal ins Nachtleben und endlich fühlte man sich wie auf einem Festival. In ganz Connewitz, dem Stadtviertel Leipzigs mit der dichtesten Club-Dichte, florierte das Leben. Die Stimmung war ausgelassen und ich fühlte mich ausgesprochen wohl. Ärgerlich war das gute Angebot an Bands, denn man musste sich entscheiden. Ich landete schließlich im UT Connewitz (wahnsinnig schöne Location, altes marodes Theater!), wo sich The Wooden Birds, Grand Archives und Shearwater die Ehre gaben. Es erwies als richtige Entscheidung: Der Laden war gut besucht, die Stimmung war klasse und die Bands außergewöhnlich. Auch in den anderen Locations soll ordentlich die Post abgegangen sein. Insgesamt hatten 5100 Interessierte die 70 Konzerte rund um die (Pop Up besucht.
Den Rest des Abends wurde wieder einmal in Ilses Erika verbracht. Alle, die nach den Konzerten aus den Clubs gespült wurden, kamen zur „Ilse“ getigert. Hier gab es die zünftige Abschlußparty mit Bratwurst, Bier und Minimal-Techno. Viele Gesichter der Aussteller tummelten sich unter den Gästen. Es wurde eifrig diskutiert. Worüber? Über die Zukunft der Pop-Musik? Über die nächste (Pop Up? Oder wer gibt die nächste Runde aus?
Resümierend muss man den Organisatoren ein Lob aussprechen. „Auch der Umzug in den Volkspalast hat sich gelohnt und wurde gut angenommen“, ist Matthias Puppe, Mitveranstalter, zufrieden. Eine gelungene Messe mit spitzen Rahmenprogramm. Ich komme auf jeden Fall wieder.

frank fischmann18.05.2009

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