Konzertbericht
Eier mit Speck Festival
Mehr als nur ein fettiges Frühstück
Viersen, Hoher Busch
23.07.2010
Dass „Eier mit Speck“ viel mehr ist, als nur ein fettiges, kaloriengespicktes Frühstück – nämlich drei Tage Festivalkultur im tiefen Westen Deutschlands – hat sich mittlerweile über die Grenzen der kleinen Kreisstadt Viersen und weit darüber hinweg herumgesprochen. Vom regionalen Geheimtipp ist das EMS-Festival über die vergangenen fünf Jahre zum Treffpunkt für Musikliebhaber aus ganz Deutschland und den umliegenden Nachbarländern avanciert. Die Entwicklung des Festivals mit all seinem Charme und Flair hin zu einem der wohl schönsten kleinen Festivals mit namenhaftem Line-Up ist phänomenal und kommt nicht von ungefähr: In der ganzen Veranstaltung steckt im wahrsten Sinne des Wortes eine Menge Her(t)zblut, denn nicht nur das gleichnamige Produktionsteam ist mit vollem Einsatz dabei, sondern auch rund 150 freiwillige Helfer, die zur Umsetzung und zum Gelingen der Veranstaltung maßgeblich beitragen.
Am Gelände am Stadtwaldrand, an dem jährlich am letzten Juliwochenende das fröhliche Vogelgezwitscher den bunten Klängen von handgemachter Musik weicht, reisten schon Donnerstag nachmittags die ersten Besucher an; schlugen auf den zwei anliegenden Campingflächen Zelte und Pavillions auf oder richteten auf dem Wohnmobilplatz ihren provisorischen Vorgarten ein. Getrübt wurde diese Kurzurlaubstimmung allerdings durch das strikte Grillverbot, welches aufgrund von Waldbrandgefahr wegen der anhaltenden Trockenheit von der Stadt verhängt wurde. Doch wäre das „Eier mit Speck“ nicht das EMS, hätte es dafür sicherlich keine versöhnliche Lösung gegeben. Um die knurrenden Mägen zu füllen und das mitgebrachte Fleisch nicht zu verschwenden, wurde eine extra gesicherte und bewachte Grillzone zwischen dem kleineren Campingplatz und dem Festivalgelände eingerichtet, an der es nicht nur heiß, sondern auch hoch kommunikativ zu ging und sich die ersten Bekanntschaften schlossen. So ist es kaum verwunderlich, dass einer der größten Pluspunkte des Festivals in der besonders familiären Atmosphäre liegt, die wie ein Schleier über das gesamte Areal – welches mittlerweile knapp 5000 Besucher beherbergt, doch immer noch überschaubar geblieben ist – schwebt.
Doch nun zur Musik. Der erste Slot des Festivals gehört traditionell Freitag nachmittags den Gewinnern des Viersener Young Talent Contests – einem Newcomer Bandwettbewerb –, die sich in mehreren Vorentscheidungsrunden gegen andere junge lokale Bands durchgesetzt haben. FEINSTES FLEISCH, die sich die Poleposition im Finale erspielt hatten, haben allerdings abgesagt, und so haben sich die zweitplatzierten KASSIOPEIA gefreut, das EMS musikalisch zu eröffnen. Dafür, dass die Band wohl zum ersten Mal auf einer Bühne diese Größenordnung gestanden hat, haben sie ihr Set ganz nett gespielt. An einer Prise Souveränität fehlt es der jungen Combo allerdings noch – die Ansagen der Sängerin wirkten leicht hektisch und nervös und als dann zwischendurch eine Basssaite riss, herrschte leichte Ratlosigkeit, bis für Ersatz gesorgt wurde.
Durch die erste Hälfte des Freitags zog sich ein rotes, niederrheinisch gefärbtes Band, denn im Anschluss an Kassiopeia spielten THE TRIPPER ORCHESTRA aus Bracht, deren Schlagzeuger Mitveranstalter des Festivals ist und sich wohl dachte, dass man sich ja auch schick mal selbst buchen könnte. Das schien auch keine schlechte Idee gewesen zu sein, denn das „Gute-Laune-Trash-Rock-Kommando“ wusste nicht nur ortsansässige Gäste mit ihrer schrägen Art zu begeistern. Die Hip Hopper von ACOUSTIC ROCKS aus Krefeld und die Pop-Rocker von AVID* aus Wesel komplettierten schließlich den rheinischen Teil des Tages.
In den frühen Abendstunden folgten die Hamburger MONTREAL, die beim ersten Stück noch ohne Gitarrist auf der Bühne standen, da dieser seinen eigentlichen Flug verpasst hatte und noch auf dem Weg zum Gelände war. Ohne lange zu Zögern sprang Montreals Bühnentechniker solange ein und wurde dann auch recht schnell nach dem ersten Lied von Yonas abgelöst, der wegen seiner Verspätung den Spott seiner Bandkollegen über sich ergehen lassen musste. Der generell lockeren Stimmung kam das nur zu Gute und brachte einige Lacher, die dem Publikum die Band nur umso sympathischer machte.
Um viertel vor neun betraten dann die niederländischen Herrschaften von DE STAAT die Bretter, die mit feinstem Rock auftrumpften und den in den bekannten Musikmagazinen diesjährig erlangten exzellenten Ruf alle Ehre machten. Auf Platte gepresst hört man dem kraftvollen Fünferpack schon gerne zu; live allerdings kommt der Sound noch tausend Mal besser in den Gehörgängen an und setzt sich dort hartnäckig fest.
Der Headliner des ersten Festival Tages sorgte dann bei vielen Anwesenden für heftiges Grübeln, woher man ihn denn kennen könnte. Die Antwort darauf ist Folgende: EVERLAST schwirrt einem noch aus dem Ende der 90er-Jahre im Gedächtnis herum, als er mit der Hitsingle „What it’s like“ die Radiostationen rauf und runter gespielt wurde. Mittlerweile ist der Herr zwar schon etwas in die Jahre gekommen, hat einen grauschimmernden Bart angelegt, doch hat keineswegs an Stimme und Kraft eingebüßt, was er selbstbewusst auf der Bühne demonstrierte.
Samstag Vormittag, 12:00 Uhr Ortszeit. Während die ersten hungrigen Festivalbesucher sich trotz mehr oder weniger ausgeprägtem Kater aus dem Schlafsack gepellt haben, standen die EMS-Küchenfeen und Elfen schon seit rund zwei Stunden hinter den riesen Pfannen und haben das traditionelle Frühstück vorbereitet. Eier mit Speck – für die vegetarische Fraktion natürlich auch ohne Fleischeinlage –, Brötchen und Kaffee für fast 2.500 Leute gingen bis 14:00 Uhr ohne Unterbrechung restlos weg.
Am Nachmittag wurde es langsam interessant, als die Schotten von TWIN ATLANTIC in die Saiten gehauen haben. Zwar auch leicht verspätet, denn mit der Fähre zum Festland geschippert, dann den kürzesten Weg durch die Niederlande genommen, wurden wohl unterwegs einige Tempolimits überschritten, die von der Polizei nicht ungerügt blieben und kostbare Zeit gekostet haben. Eigentlich konnte man froh sein, dass die Herrschaften überhaupt angetreten sind, denn im vergangenen Jahr haben sie ihre hart erspielten Sympathien durch ständige Konzertabsagen aufgrund diverser dubioser Gründe bei ihren Fans leicht verspielt. Das Publikum schien dies allerdings schon wieder vergessen oder verziehen zu haben, während das energische Quartett alles gab und besonders Frontmann Sam McTrusty wie ein Sturm über die Bühne wirbelte.
MY BABY WANTS TO EAT YOUR PUSSY sind einige der wenigen Bands, die es zum zweiten Mal zum Eier mit Speck Festival geschafft haben, denn eigentlich gilt in Sachen Booking die „One Stop and no Return“-Devise, soll heißen: keine Band ein zweites Mal. Gut, zum Jubiläum der 5. Festival-Aufglage kann man ja mal seine Grundsätze über Board werfen, nicht alles so eng sehen und einfach auf Qualität setzen, was im Falle von MBWTEYP ohne Zweifel der Fall ist. Bereits 2008 hatten die Mannheimer Glamrocker mit kreativen Kostümen, einer wunderbar bunten Bühnenshow und Abwechslungsreichtum geglänzt und haben auch in diesem Jahr wieder zu vollster Zufriedenheit der Zuschauer begeistert.
Der folgende Slot war für HASENSCHEISSE aus Potsdam reserviert. Klingt komisch, ist aber so. Kennt man nicht? Kennt man doch! Jedenfalls zum Höhepunkt deren Sets sang die ganze Wiese heiter zum Überhit „Bernd am Grill“ mit und hat wohl mit Wehmut an das Grillverbot auf den Campingplätzen gedacht…
Für die FREAKY FUKIN WEIRDOZ die aufgrund eines gebrochenen Beins des Gitarristens absagen mussten, sind JAYA THE CAT eingesprungen und haben in gewohnt gechillter Art mit einer Mischung aus Reggae, Punk und Rock die Leute zum Mitswingen gebracht. Auf der Coolness-Skala lagen die Herren ganz weit oben und auch musikalisch gehörten sie auf jeden Fall zu einem der Topacts des Festivals.
Den Headliner PARADISE LOST hatten wohl besonders die Metal und Gothic Fans auf ihrer Liste, doch auch der restliche Teil des Publikums hat sich die Show nicht entgehen lassen.
Sonntag, 12:00 Uhr – das gleiche Spiel wie am Vortag: fettiges Katerfrühstück, für alle, die es bis dahin aus dem Zelt geschafft haben; nur waren gut 2.500 Portionen an diesem Morgen schon innerhalb von einer Stunde weg und alle Spätaufsteher haben in die Röhre bzw. in die leeren ‚Chafings‘ geguckt. Nebenbei hat die spanische Skacombo TRASHTUCADA für gute Laune beim Frühstücken und Wachwerden gesorgt.
Gegen Mittag, zu Beginn von MAMMÚT, zog sich leider der Himmel zu und das trockene, angenehme Wetter der beiden Vortage war somit passé. Mit skandinavischer Gelassenheit haben die buntbemalten Isländer den Fisselregen hingenommen und die ersten Reihen trotzdem zum Feiern gebracht. Faszinierend an dieser noch jungen und eher unbekannten Band ist vor allem die Tatsache, dass Sängerin ‘Kata’ ausschließlich in ihrer Heimatsprache singt, die wohl kein Mensch ausserhalb des Eyjafjallajökull-Landes so recht verstehen mag.
Darauffolgend gab es Folk-Pop vom Kraftbündel WALLIS BIRD aus Irland, die ihre Ansagen in bestem Deutsch machte und mit wunderschöner, angerauter Stimme ihre Songs performte und kaum eine Sekunde still stand und alle Anwesenden verzauberte.
Zu Guter Letzt muss natürlich der kröndende Abschluss dieses Festivals seine Erwähnung finden: GOOD CHARLOTTE brachten ein kleines Stückchen Los Angeles-Glamour nach Viersen. Als der riesige Tourbus früh morgens versuchte sich seinen viel zu engen Feldweg zum Parken zu bahnen, waren schon die ersten Teenies auf den Beinen, in der Hoffnung ihre Idole abzufangen. Doch Fehlalarm; mit dem riesen Bus kam lediglich die Horde Techniker angereist – Good Charlotte waren noch lange unterwegs und sollten auch erst eine gute dreiviertel Stunde vor ihrem Auftritt das Gelände erreichen. Im Backstagebreich machte sich, während STUCK MOJO auf der Bühne standen, überall leichte Aufregung breit, als dann plötzlich ein blauer Van eingefahren kam und die Band rund um die Gebrüder ‚Madden‘ ausstieg und in ihrem Container verschwand. Nur kurz traten die Jungs – anders als erwartet ohne großen Trubel- mal einige Schritte Richtung Bühnenaufgang, um zu gucken, was sich gerade tat.
Fairerweise muss man eingestehen, dass die Jungs ihr Set solide absolviert haben; wirkliche Spielfreude konnte man ihnen aber an diesem Abend nicht ansehen. Es ist schon schade, dass gerade bei Good Charlotte, die in ihren Songs über das ‚Lifestyle of the Rich and the Famous‘ herziehen, scheinbar nur die Dollarzeichen in den Augen funkeln haben und es nach getaner, vertraglich festgelegter Arbeit noch nicht einmal eine Zugabe gab. Keine drei Minuten, nachdem der letzte Akkord gespielt war, verschwanden die Amerikaner auch schon wieder im Van und fuhren klamm und heimlich davon.
Allem in allem bleibt mir nur übrig zu sagen, dass es wieder ein herrliches Eier mit Speck war, welches ich allen Festivalfans für die kommenden Jahre nur wärmstens ans Herz legen kann: tolles Programm, tolle Atmosphäre, nette Leute und faire Preise!
katinka roggfeld, 02.08.2010
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