Konzertbericht

MS Dockville 2013

Die Insel der besonders Schönen

Hamburg/Wilhelmsburg
16.08.2013

Wenn schon das Gleiche, dann aber anders. Die smarten Dockville-Köpfe haben es auch 2013 wieder geschafft, ihrem Publikum genau das zu geben, was es im Austausch für seine prekär erschufteten Dollars erleben wollte, ohne dabei zur Selbstkopie zu verkommen. Das Kunstcamp, welches sich als Freiluft-Ausstellung und Performancebühne über den Großteil des Geländes erstreckt, steht in diesem Jahr unter dem Motto "Unkraut". Und das vergeht bekanntermaßen nicht.

Einige fragten, wo in diesem Jahr die großen Headliner und altbekannten Lieblinge geblieben sind, andere schüttelten den Kopf über die viel zu geringe Wertschätzung für Acts wie MAC MILLER, FOALS oder WOODKID. Doch spätestens als die "Sold Out"-Schilder aufblitzten, war klar, dass sich 25000 Besucher auf die Stilsicherheit der Booker verlassen würden, egal wie gespalten ihre Meinungen auch sein mochten.

Und so spielte schon am Freitagnachmittag die Indiesensation der letzten Monate auf - die HAIM-Schwestern lieferten grazil ab. Erst flogen die Seifenblasen, dann die Jutebeutel. Gestärkt von einer Asia-Nudelpfanne rätselhaften Inhalts und verzaubert von den Installationen des Kunstcamps fiel die Entscheidung für den Abend auf das Feierprogramm. Dass BRATZE wie immer eine 2-Mann-Elektrokrawall-Show von Feinsten zünden würden war abzusehen. Wie sich das unverhoffte Chart- und Bartwunder MC FITTI auf der großen Bühne schlagen würde, war schon interessanter. Resultat: Ganz witzig. Wenn man schon mit Blödelrap ein von Endorphinen unkritisch gemachtes Publikum zur Ekstase bringen will, dann bitteschön so charmant wie der Berliner mit den Haaren im Gesicht. FOALS, die vielleicht "größte" Band im Billing, haben am Ende einer ausgedehnten Tour schlicht keine Luft mehr. Als Resultat steht ein solides Konzert mit Hits auf Sparflamme zu Buche. Dann noch ALLE FARBEN. Bunte Menschen raven hart. Alt fühlen, ins Bett gehen.

Im Vergleich zu den letzten Jahren hat sich der Stil der gebuchten Bands spürbar verändert. Noch im letzten Jahr hatten zumindest Bands wie TOCOTRONIC oder WYE OAK ein Verzerrerpedal im Köfferchen, diesmal muss man die Lead-Gitarren häufig mit der Lupe suchen. Weniger Indie, dafür mehr Rap und Musik aus dem Computer. Vor allem die Rapper sollten dem Samstag ihren Stempel aufdrücken.

Doch zunächst durfte bei den dänischen Pop-Hippies von WHEN SAINTS GO MACHINE die Welt umarmt werden. Ein herrliches Konzert, bei dem im Publikum wenig gesprochen und viel geträumt wird. Wohlwollendem Kopfnicken bei FENSTER folgt ein launiger Auftritt von HERR VON GRAU. Dessen klackernde Wort-Jonglagen stoßen auf viel Gegenliebe, bei mürrischen Szenepolizisten ebenso wie bei glitzernden Oberstüflern, die zum ersten Mal an der Sportzigarette ziehen. Angefixt vom Sprechgesang geht die Reise weiter zu DOPE D.O.D., die ihre fehlenden Manieren durch kriminelle Energie und wahnwitzige Nichtfrisuren ausgleichen. Es sollte sich zum einzigen Rock'n'Roll-Moment an diesem Wochenende entwickeln. Die Mittelfinger der Band wirken wie eine Kampfansage an den Grundtenor des restlichen Festivals, der sich zwischen Love, Peace und Hedonismus eingependelt hat. Ein Phänomen, das sich auch am Abend bewundern lässt: MAC MILLER zeigt, wie man eine perfekte Rap-Show abliefert, energiegeladen und sympathisch - aber unfassbar brav. Passend dazu wiegt WOODKID die liebende Masse mit seiner imposanten Stimme sanft in den Schlaf, im Rahmen einer glänzend durchchoreographierten Bühnenshow. Selbstverständlich liegt kein einziger Ton daneben.

Es ist Sonntag und es ist schon etwas später. Fahrradpannen erschweren die Anreise, für die verpassten Konzerte von MISS LI und AUSTRA werden ein paar Tränen verdrückt. Auf dem staubigen Boden liegen leere Seifenblasen-Fläschchen und ein wenig Konfetti. Egal ob Zelt- oder Heimschläfer: Alle Menschen sehen aus wie aus dem Ei gepellt, sorgsam angekleidet, den roten Lippenstift frisch nachgezogen. "Auf dem Dockville ist sogar der Dreck sauber", sagt ein Besucher aus Berlin. Die getragenen Klänge der überragenden AGNES OBEL liefern den bestmöglichen Soundtrack zur eintretenden Katerstimmung. Ernsthafte, wunderschöne Musik, die sämtliche Blutbahnen durchströmt, fernab von Partyzwang und Aufbrezelei. Und schon steigt auch die Tanzlaune wieder. DJ KOZE betritt die Bühne und spielt ein Set, das nicht nur aufgrund des Lokalheldenbonus bestens funktioniert. Der apokalyptische Wolkenbruch trübt die Stimmung nicht im Geringsten - solange man tanzt, kann es immerhin nicht kalt werden. Die wahren Leidtragenden sind FM BELFAST, die kurzfristig für die ausgefallenen KAKKMADAFAKKA eingesprungen sind. Vollkommen durchnässt verlässt ein großer Teil der Besucher das Festival und verpasst eine reißende Indieshow.

Dennoch: Es ist ein würdiger Abschluss für ein Festival im Transformationsprozess. Das neue Rezept hat bestens funktioniert, die glücklichen Gesichter auf dem Gelände sprechen Bände. Trotzdem werden Stimmen laut von Menschen, die diesen Weg nicht mehr mitgehen wollen. Menschen, für die es ein bisschen zu viel Konfetti war. Ein bisschen zu viel Fassade, ein bisschen zu viel Schminke. Und auch ein bisschen zu viel Werbung, betrachtet man das ursprünglich werbefreie Konzept des Festivals. Auch wenn das Dockville immer noch anders ist als alle anderen: Die Subkultur verabschiedet sich schleichend, die berüchtigte Marke Hamburg hält Einzug. Um das zu sehen, hätte es noch nicht einmal die Shows von BAAUER und WANKELMUT gebraucht.

Benedikt Ernst15.09.2013

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