Interview
Vernon Reid
Vernon Reid und das Jahr 06
Qualität vs. Quantität
Gitarrist VERNON REID (LIVING COLOUR) unterwegs auf deutschen Bühnen, im Gepäck sein Solo-Album „Other trueself“
STEVE VAI tat ein Gutes VERNON REID auf sein Label „Favored Nations“ zu nehmen. Auf der einen Seite aus dem Selbstnutzen, REID mit seiner Band MASQUE als Kreativ-Zugpferde einzuspannen, auf der anderen Seite aber auch um REID einen Promo- und Unterstützungsgefallen zu tun, den beide Seiten grundlegend nicht nötig hätten.
JACK DE JOHNETTE, PUBLIC ENEMY, B.B.KING, THE RAMONES, MARIAH CAREY, MICK JAGGER, TRACEY CHAPMAN, CARLOS SANTANA oder ANTHRAX, die Liste der Kooperationspartner des schwarzen Ausnahmegitarristen ist lang. Gitarrenvirtuosen-Kollege TOM MORELLO (RAGE AGAINST THE MACHINE /AUDIOSLAVE) nennt REID als einen seiner Haupteinflüsse.
Angefangen mit der musikalischen Laufbahn des 1958 in London geborenen Gitarristen, hat es aber relativ spät. Mit 15 bekommt der mit zwei Jahren als Kleinkind mit seiner Familie nach New York/Brooklyn ausgewanderte REID Gitarrenstunden. „Ich kann mich noch gut an meine erste Gitarre erinnern. Das war eine „Gibson Dixie Hummingbird“. Mein Cousin hat mir die geschenkt. Meine erste Elektro-Gitarre war eine Univox Mosrite Kopie. Ich bekam Gitarrenunterricht in einer privaten Schule. Im Alter zwischen 17 und 18 habe ich dann mit sehr vielen Musikern abgehangen und in einigen Bands gespielt, verrückte Geschichten sind mir da passiert. Ich war an sehr unsicheren Sachen interessiert, wie visuelle Kunst oder kreatives Schreiben. In jungem Alter ist es höchstinteressant, wie solche kreativen Tätigkeiten dein Leben kraftvoll und sinnvoll machen. Dein ganzes Leben scheint von der Entscheidung abzuhängen, die du jetzt gerade triffst. Ich hatte einen Freund, Raymond, der war Piano Spieler. Er war ein großer Einfluss auf mich. Er wusste schon zu sehr jungem Alter, was er mit seinem Leben machte wollte. Er wusste genau, dass er ein Piano Spieler werden würde. Er hatte keine Zweifel. Kids normalerweise, wissen nicht so genau, was sie wollen, er wusste das genau. Weißt du, ich habe sehr spät mit meinem Instrument angefangen und mir ist nichts so einfach zugeflogen.“
Wir sitzen im Tourbus vor der Hamburger Live Location KNUST, dem Venue, das eine halbe Stunde später nicht Mal halbgefüllt sein wird. Es ist die erste Show in Deutschland mit seiner Band MASQUE, das Album „Other true self“ hat er im Gepäck, eine ganze Europa Tour, fast ohne großartige Pausen, den Day-Offs, hat er und seine aus einem Schwarzen Drummer und einem weißen Keyboarder und Bassisten bestehende Band MASQUE, noch vor sich. Es scheint irrational und bizarre hier noch in „weiß oder schwarz“ zu unterteilen. Der Tourbus ist einer von den Besseren. DVD, edle Sofabezüge, Stereoanlage, aber kleine Schlafkabinen an denen uns Tourmanager Marcus zum Gitarrenmeister führt. REID macht einen eher entspannten, fast relaxten Eindruck, als er die Fragen beantwortet.
In den 80er Jahren gründet REID die DECODING SOCIETY und DEFUNKT. „Das sind die Jahre, in denen ich musikmässig richtig angefangen habe. Da gab es eine „Downtown-Scene“ in NYC, die wirklich wild und ungebunden war. 1984 starteten wir mit LIVING COLOUR als Trio. 1985 starte ich mit Greg Tate und Craig Street, sowie einigen anderen die BLACK ROCK COALITION. Das Ziel der BLACK ROCK COALITION war zuerst das Gespräch zu starten. Es gab nur ein paar gemischte Rockbands. Es gab kein RAGE AGAINST THE MACHINE, kein P.O.D., kein SEVENDUST, kein LENNY KRAVITZ.
Es war eine, mit wenigen Ausnahmen, dominierte Zeit, von BRUCE SPRINGSTEEN.
Die BAD BRAINS waren ein großer Einfluss auf die COALITION, heute ist das lustig, denn das Gespräch über Rasse, ist ein Gespräch über Identität und wie weit wir unseren Unterschieden erlauben, uns zu trennen.“
Schaut man zurück auf das Leben von REID so ist dieses Schwarz-Weiß Dingen in direkter Verbindung zu seiner Musik, Inhalt genug um zwei Leben damit zu füllen. Mit der BLACK ROCK COALITION waren er und seine Freunde Feinde amerikanisch-fundamentaler, pro weißer Politik. Bands wie die von Ihm eben angesprochenen BAD BRAINS, FISHBONE oder 247-SPYZ und eben seine Kombo LIVING COLOUR prägen das Bild, politisch motivierter, schwarzer Bands aus dem Herzen Amerikas.
„LIVING COLOUR ist eine seltsame Sache in meinem Leben. Ich habe die gestartet, die Band hat mich fast zerstört, ich habe versucht sie zu zerstören, sie kam zurück. All´ dieser
Kram von Sachen. Da gibt es etwas, das ich klarstellen möchte. Die Sache über MASQUE vs. LIVING COLOUR. LIVING COLOUR, da geht es um afroamerikanische Menschen in der Gesellschaft in der Welt. Bei MASQUE geht es um das Infragestellen der Identität, das erste Album hiess „Mistaken Identity“, das zweite Album heißt „Known unknown“ und jetzt „Other trueself“. All diese Alben handeln über das Infragestellen und das Schauen auf „was Identität ist“. Das ist das Fundament und der Grund warum Reggae Bereiche darin enthalten sind, ebenso wie Metal, Jazz oder Rock Einflüsse. MASQUE ist die erste Multirassen-Band in der ich spiele. Der Keyboarder und der Bassist waren die ganze Zeit dabei. Es ist das erste Mal für mich, dass ich in einer Band mit weißen Musikern spiele und sie sind genauso Brüder für mich wie COREY GLOVER (Sänger LIVING COLOUR, Redaktionskommentar) für mich ein Bruder ist.“
Szenenwechsel.
Mittelmäßiger Sound und nur wenig Leute vor der Bühne setzen den Auftritt von VERNON REID und seiner Band MASQUE in ein unwürdiges Licht. Der Nordamerikaner trifft die Meisten der Besucher an diesem Abend im Hamburger KNUST direkt ins Herz mit ausgedehnten Gitarrensoli, weit entfernt von Schubladeneinzugrenzenden Sounds. Das ist kein reiner Jazz, sondern schon viel weiter, kein Reggae, kein reiner Metal und schon gar nicht Rock und trotzdem all das zusammen.
Mit einem Gefühl einen schwarzen, wirklich einflussreichen, gleichzeitig aber auch bescheidenden Musiker getroffen zu haben geht man nach Hause. Im Kopf die Coverversion des Albums „Enjoy the silence“, DEPECHE MODE lassen grüßen, VERNON REID und MASQUE sprechen sich hier mit Konzert und neuer CD „Other trueself“ im Gepäck eine Empfehlung aus, auch ohne Massen von begeisterter Fans. Qualität ist nun mal doch wichtiger als Quantität.
Nils Robin Kruska, 26.03.2006
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