Cd-Besprechung

Neuser

Chamaeleon

Songpark
  Vö: 11.06.2010

Bewertung:  10 Punkte
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Nach sechs langen Monaten in Studioquarantäne darf Neuser‘s „Chamaeleon“ nun in die wohlverdiente Freiheit entlassen werden – sich in seiner ganzen Pracht zeigen, sich bestaunen lassen. Das Gute daran ist, dass der ‚Erdlöwe‘ kein Unikat ist, man ihn und seine kleinen Artgenossen ab dem 11.06.2010 in jeder Fachhandlung käuflich erwerben kann. Lediglich genug Platz im CD-Regalkäfig sollte man haben, um ihm eine gerechte Haltung zu gewähren, denn auch wenn Chamäleons eher für ihre meditative, steinerne Körperhaltung bekannt sind, breiten sie sich gerne aus und springen unerwartet in freie, umliegende Gehörgänge.

Nachdem sich Henning Neuser von seiner Stammband getrennt hat, hat er sich für seine Solopfade allerlei Chamäleon-typische Eigenschaften angeeignet, die für das Leben in der Wildnis der Musiklandschaft überlebensnotwendig sind: Mit seinen hochentwickelten, weitblickenden und scharfsehenden ‚Chamäleonaugen‘ nimmt er Eindrücke seiner Umwelt viel genauer wahr als andere und verarbeitet das Gesehene und Erlebte mit seiner ‚Schleuderzunge‘, mit der er sich alles von der Seele singt. Entgegen der Annahme, der ‚Farbwechsel‘ eines Chamäleons diene vor allem zur Tarnung, steht der Kommunikative Aspekt zur Verständigung mit Artgenossen. Mit seinem facettenreichen Sound kommuniziert Neuser seine Texte nach außen – melancholischer, aber zugleich auch gitarrenlastiger und kantiger, als zu Bandzeiten.

Während der Studioquarantäne befand sich der sonstige Einzelgänger in bester Gesellschaft von anderen Chamäleonunterarten – z.B. den rhythmischen Chamäleons Florian Bungardt am Schlagzeug und Jens Bachmann am Bass, aber auch dem produzierenden Chamäleon Florian Bechte – die sich kreativ mit eingebracht und mitgearbeitet haben.

Alpha-Männchen Neuser führt ein Rudel aus elf authentischen, größtenteils deutschsprachigen Indiepop-Songs an. Bei der ersten Singleauskopplung „Herzblindherzsturm“ führt er sie durch melancholische Täler, und hält dabei fest: „Wir wollen immer anders sein – wie alle andern nur nicht hier“ und zieht deshalb weiter vorbei an ‚Chamaeleon‘ ohne eine Verschnaufspause einzulegen: „Bleib jetzt nicht steh’n, dreh dich nicht um, ruh dich nicht aus vom Ausruhen“ und ist dabei „Nicht zu stoppen“. Während „Die Stadt schläft“, macht er „Kein(en) Schritt zurück“ und philosophiert stattdessen lieber über „Minusliebe“, dem wohl bedeutendsten Wegabschnitt auf der 50 Minuten langen Reise, an dem er mit Eva Schilling zusammentrifft, um in einen Dialog zu treten. Bereits der polnische Autor ‚Jan Potocki‘ hat sich in seinem Roman „Die Handschrift von Saragossa“ Gedanken zu diesem Thema gemacht und hält dies wie folgt fest:

„Da Liebe und Haß sich absolut wie positive und negative Werte verhalten, ist daraus zu folgern, daß ich statt >Haß< auch schreiben kann >minus Liebe<, was nicht mit Gleichgültigkeit verwechselt werden darf, deren Eigenschaft mit null gleichzusetzen ist.“

Es liegt also nicht fern, dass Neuser inspirierende Reiselektüre mit im Rucksack hat, die er im friedlichen Disput mit seiner Gesprächspartnerin einfließen lässt.
Der Beginn dieser Begegnung wird untermalt von elektronischen Spielereien und Synthezisern, welche an Muse erinnern und sich zusammen mit den englischen Versatzstücken zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Nach 3,50 Minuten und der Erkenntnis, dass Liebe vergänglich ist, hält es Neuser nicht mehr an dieser Stelle und getreu seiner Einstellung „I just can’t stop“ zieht es ihn weiter. Vom „Sommerrregen“ überrascht, trifft er auf einen alten Freund, den er Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat und schwelgt in Erinnerungen einer unbefangenen Kindheit, vergießt dabei „Tränen aus Blei“.

Neuser‘s „Chamaeleon“ muss sich ganz im Gegensatz zu seinem zoologischen Namensgeber keineswegs um die Gefährdung seiner Art sorgen, denn mit viel Gefühl, wundervollen Melodien und poetischen Texten stimmt es jeden Feind versöhnlich!

10 Punkte (von max. 15)

katinka roggfeld, 05.06.2010

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