Cd-Besprechung
Leserwertung: 12.5 Punkte
Stimmenzahl: 2
FANTOMAS sind das Quartett Mike Patton (Ex-FAITH NO MORE, Vocals), Buzz Osbourne (MELVINS, Guitar), Dave Lombardo (Ex-SLAYER, Percussion) und Trevor Dunn (MR. BUNGLE, Bass). Sie haben sich in den Kopf (?) gesetzt, der Musikwelt Außergewöhnliches zu bieten und ebensolches ist mit "Delirium Cordia" wieder gelungen.
"Ein Track - keine Kompromisse" verspricht die Ankündigung und weisst gleichzeitig darauf hin, dass FANTOMAS Geschmackssache sind und auch bleiben wollen. Was verbirgt sich hinter der Neuerscheinung? "Delirium Cordia" ist ein Film. Allerdings ohne Bild und ohne Text: es handelt sich um rein akkustische Klangmalerei. Es gibt keine nachvollziehbare Handlung und es gibt auch kein eindeutiges Ende. Aber der eine Track ist unterteilt in viele Szenen, die wenige Sekunden bis etliche Minuten lang sind. Die akkustische Abtrennung ist dabei oftmals einfach kurze Stille oder eben das abrupte Wechseln von Klangfarben, Tempo und Stimmung. Es wäre durchaus O.K. gewesen, diese einzelnen Sequenzen durch anwählbare Tracks abzutrennen, aber FANTOMAS haben ein Ganzes geschaffen, das wohl zum besseren Verständnis zusammenbleiben soll.
Das Genre des Hörfilms ist sogleich erkannt: Thriller/Horror ist wohl die Schublade, die FANTOMAS erweitern. Das hört sich so an: Ganz zu Beginn ist ein intromäßiger Mönchschor mit einer Litanei zu hören. Der erhabene Gesang wird anfangs ganz unscheinbar durch ein wässriges, schlurfendes Geräusch gestört, das immer lauter wird und von einer Ahnung zum Offensichtlichen mutiert. In ähnlicher Weise wird so durchgängig das Böse dargestellt, allerdings in den unterschiedlichsten Klangfarben. Metall krazt auf Metall, Bässe an der Hörgrenze, oder auch brutale Riffs in Begleitung von Orgelmusik symbolisieren, wie das Böse anfangs wächst, in Szenen unterschwellig dabei ist und im weiteren Verlauf ganz ausbricht. In einem dunklen Raum, allein und mit ein paar Phantasien im Kopf bekommt man sehr schnell Angst, ist gefangen von der Spannung, die aufgebaut wird. Nach gut 55 Minuten hat das alles ein Ende, aber wahrscheinlich kein gutes. Die CD hört auch nicht einfach auf, sondern die restliche Zeit ist durch ein Nichts (bzw. das leise, periodische Geräusch eines Plattenspielers, der am Ende der Platte angekommen ist) gefüllt, das als `Ruhe nach dem Sturm´ gewertet werden kann. Nachdem das Böse sich ein Stückchen von uns vereinnahmt hat, verschwindet es.
Der musikalische Schwerpunkt liegt ganz klar auf dem Einsatz von ungewohntem, interessantem, zum Teil auch sehr sakralem Instrumentariat. Kein Gesang von Patton, außer etwas Lautmalerei, keine klassische Rock-Band, sondern Orgel, Pauke, Experimentieren - immer vor dem Hintergrund eine für sich stehende Filmmusik zu entwerfen. FANTOMAS spielen mit der musikalischen Konditionierung des Hörers: In jedem Film wird Spannung, Angst, herannahendes Übel etc. mit musikalischer Untermalung verstärkt, zum Teil sogar alleine erzeugt. Der Hörer ist (unterbewusst) genau darauf programmiert, auf bestimmte Klänge zu reagieren, auch ohne Bild (fast wie der Pawlow´sche Hund, der speichelt, sobald die Glocke läutet). Bei FANTOMAS´ neuester Veröffentlichung kommt noch die Phantasie dazu, die es einem ermöglicht, bei vollkommenem `Gehenlassen´ mit "Delirium Cordia" viel mehr Erlebnis zu erfahren, als beim handelsüblichen "Ich weiß gar nicht mehr, was ich letzten Sommer getan habe"- oder "Der Exorzist 23"-Kinoschocker. Auf der anderen Seite, wenn man sich all das bewusst macht und über der anerzogenen Angst steht, kann man beim Hören sehr interessante und schöne Klangfarben entdecken, insbesondere die tiefen, tiefen Bässe, und der Mönchsgesang am Anfang sind empfehlenswert.
"Delirium Cordia" bleibt aber natürlich schwer verdauliche Kost, eben Geschmackssache und wird nur einem nicht allzu großen Publikum tatsächlich gefallen. Mir selbst mundet es nicht immer, obwohl ich dankbar bin für Abwechslung aus der alltäglichen Musikkost - aber hauptsächlich aus dem Grund, diese wieder in vollen Zügen genießen zu können.
10 Punkte (von max. 15)
Burkhard Fückel, 14.01.2004
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