Cd-Besprechung
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In meiner Besprechung zu Magic Arms „Images Rolling“ habe ich geschrieben, dass ich ungern über 12 Punkte gebe, weil diese hohen Noten für Alben sein sollten, die nach Jahren noch im Gedächtnis bleiben, ein Genre prägen oder eine Ära repräsentieren. Attribute wie „Meisterwerk“, „Klassiker“ und „Kult“ suche ich hier.
Z.B. Spon und Pitchfork scheinen in „Reflektor“ ein solches Werk gefunden zu haben.
Und ideenreicher als die besten Steuerberater gehen die Kanadier ihr viertes Album zunächst an und ich denke vor allem die erste Hälfte des Albums gehört für mich mit großer Sicherheit zu den vergnüglichsten 36 Minuten Musik, die es dieses Jahr zu hören gibt.
Viele könnte es abstoßen, aber ich mag das karibisch-mittelamerikanische Flair gemischt mit dem Disco-Chic der späten 70er und frühen 80er, der hier erkundet wird.
Zwischendurch gleiten die einzelnen Songs nahtlos ineinander über und gerade durch die Ankündigungen eines Moderators klingt z.B. „Here Comes The Night Time“ wie ein Auftritt der Band als Animateure für ein Ferienresort während des Curaçao Karnevals.
Passend fragt Sänger Win Butler in „You Already Know“ uns „how can you move so slow?”, während doch meine Extremitäten schon munter im Takt zappeln.
Die Seite endet mit „Joan Of Arc“, meinem persönlichen Höhepunkt und einem der wohl langlebigsten Hooks des Albums.
Alle Songs leben von kleinen Spielereien und mannigfaltigen Instrumenten und Sounds. Ich mag die Synthesizer, die so ein wenig an Dudelsäcke erinnern, in Joan Of Arc und die Steel Pans im dubbigen Track „Flashbulb Eyes“ genau so wie die Gitarre des rockigsten Tracks „Normal Person“. Der Richtungswechsel in Here Comes The Night Time überrumpelt den Hörer wie ein fehlerhaftes Navi allzu gutgläubige Autofahrer in der Nähe von Gewässern.
Sicher, das oben beschriebene ist alles wild aus dem Popbaukasten zusammengeschmissen und dadurch wirkt es vielleicht auch sehr chaotisch, jedoch verstehen Arcade Fire erwiesenermaßen ihr Handwerk und so klingt es, obwohl stets viel passiert, für mich trotzdem leicht und lebhaft.
Aber das Album ist lang. Im Gegensatz zum Inhalt einer Wohnung in München-Schwabing fällt es Arcade Fire schwerer zu beweisen, dass die schiere Menge des gehorteten Krams sich nicht negativ auf die Qualität der Kunst auswirkt.
Die Länge des Albums rächt sich nämlich auf der zweiten Seite, da bereits kleine Schwächen nun anfangen mich zu langweilen und sogar etwas zu nerven.
Schon „Reflektor“ und „We Exist“ auf der ersten Seite sind zwar ganz nett, begeistern mich jedoch nicht und sind vielleicht schon zu lang. Das ist nicht weiter schlimm, da im Anschluss das beschriebene Feuerwerk abgebrannt wird.
Wenn nach der Spielzeit eines normalen Albums dann allerdings im Anschluss an das langweilige Intro für die zweite Seite „Here Comes The Night Time Part II“ Songs wie „Awful Sound (Oh Eurydice)“ und „Porno“ mit ihren mehr als sechs Minuten Länge dahinstampfen, dann fange ich an mir die Verrücktheiten der ersten Hälfte zurück zu wünschen. Auch „It´s Never Over (Hey Orpheus)“ ist zu langatmig um mein Interesse hoch zu halten. Das ist fast Tragische Ironie!
Der elfminütige Closer „Supersymmetry“ trägt schließlich für mich nichts mehr zum Album bei und macht eher deutlich, wie ungleich die beiden Seiten mit der Ausnahme des poppigen „Afterlife“ sind.
Für sich betrachtet sind die Songs der zweiten Seite nun wirklich nicht furchtbar, aber nach 76 Minuten gehen mir die Beats, die sich meist im mittleren Tempo bewegen, sogar leicht auf den Keks. Ich bin daher ratlos.
Die erste Hälfte bietet mir spaßigen Arschwackel-Pop, der herrlich chaotisch pulsiert.
Warum sollte ich die zweite Seite dann noch hören, die mir weniger beschwingt erscheint und dadurch wie ein nachgereichtes, eher durchschnittliches Dance-Pop Album wirkt?
Wer nun „Texte“ denkt, dem sei versichert, dass die - auch wieder zu einem kleinen Teil französischen – Lyrics mit ihren Themen zwischen Liebe, Erwachsenwerden und griechischer Mythologie sicher stimmiger geschrieben sind als die hölzernen Versuche so mancher (Pop-)Konkurrenten.
Gerade auch die zweite Seite bietet mit den zuvor gescholtenen Eurydice, Orpheus und Porno im Verbund mit Afterlife dem Hörer durchaus eine ansprechende Geschichte und genug Interpretationsspielräume um darüber nachzudenken.
Aber auch hier gilt: Warum so lang? Warum so viele Wiederholungen von Textzeilen?
Ich wage es schließlich noch zu behaupten, dass Texte unwichtiger sind als Emotionen und Atmosphäre und bewerte sie daher weniger stark. Oder wann habt ihr das letzte mal ein Popalbum wegen der Texte angehört?
Um den Bogen zu schließen. Spon und Pitchfork haben hier ein Meisterwerk identifiziert und wie ihr an meiner Note seht, finde auch ich dieses Album gut.
Aber ich kann einfach nicht ignorieren, dass Reflektor unrund und zu lang für seine Ideen ist.
Und nur weil ich den von James Murphy (LCD Soundsystem) produzierten Sound mag, heißt es nicht, dass der Stil hier neu, frisch oder gar experimentell aufregend wäre.
Nennt mich einen Philister und beschimpft mich, dass ich Arcade Fire nicht verstehe. Wenn ich mich auf etwa die Hälfte des Albums nicht richtig freue, sobald ich darüber nachdenke, es mir anzuhören, dann sehe ich in Reflektor auch keinen zukünftigen Klassiker.
Vielleicht irre ich mich aber auch komplett. Genau daher bewerte ich vorsichtiger.
10 Punkte (von max. 15)
Mark L., 06.11.2013
TRACKLIST
01. Reflektor
02. We Exist
03. Flasbulb Eyes
04. Here Comes The Night Time (***)
05. Normal Person
06. You Already Know
07. Joan Of Arc (***)
08. Here Comes The Night Time Part II
09. Awful Sound (Oh Eurydice)
10. It's Never Over (Oh Orpheus)
11. Porno
12. Afterlife (***)
13. Supersymmetry
[ *** Anspieltipps ]
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